Bildnis eines Mädchens
– weit gebracht. Er entstammte einer gut gestellten
bürgerlichen Familie und war in Bergamo aufgewachsen. Für seinen Vater, der heldenhaft in der Schlacht von Solferino gekämpft
hatte und sein Leben für das »Risorgimento« gegeben hätte, war es keine Frage, dass sein einziger Sohn Achille, der ihm 1865
geboren wurde, die Militärlaufbahn einschlagen würde. Achille seinerseits hätte sich dem Wunsch seines Vaters nie zu widersetzen
gewagt. Trotzdem,als einige Jahre später seine einzige Schwester und kurz darauf sein Vater starben, war er nicht unglücklich, den Dienst ehrenhaft
quittieren zu können, um sich der Regelung der Familienangelegenheiten zu widmen.
Der ständige Umgang mit Waffen entsprach nicht seinem Temperament. Er verdankte zwar unter anderem seinem Talent zur Menschenführung
den raschen Aufstieg zum Offizier, doch war er sensibler, als man es beim Militär gemeinhin schätzt. Zum anderen hatte er
neben seinem Organisationstalent, seinem Interesse für Technik und einer Begabung für vorausplanendes strategisches Denken
eine ganz und gar unvernünftige Leidenschaft: Er liebte das Kartenspiel, spielte um Geld und war froh, auf diese Weise seinen
Spielkumpanen zu entkommen.
Bald hatte Achille sich entschlossen, im Hotelfach zu arbeiten, wo er viele seiner Fähigkeiten nutzen konnte, und versuchte
– zum Kummer seiner Mutter – sein Glück in Mailand, einer Stadt, die mehr Möglichkeiten bot als Bergamo.
In Mailand hatte er sich rasch emporgearbeitet. Er sah schnell, wo es brannte, und behielt dabei einen kühlen Kopf, hatte
eine gute Hand für das Personal und Geschick im Umgang mit den Gästen. Er biederte sich nicht an, hatte aber ein offenes Ohr
für die Anliegen aller, ungeachtet ihrer Position, und da er ziemlich diskret war, trug ihm das allgemein große Achtung ein.
Seine eigenen Bedürfnisse waren dabei auf der Strecke geblieben, zumindest was sein Liebesleben anging.
Seiner Mutter, die schon Mann und Tochter verloren hatte, war das durchaus recht. Sie hatte alles daran gesetzt, dass ihr
Sohn, der seinen Vornamen dem griechischen Helden Achilles verdankte, strahlend und unangetastet durchs Leben käme. Seine
einzige verwundbare Stelle lag ihrer Meinung nach da, wo eine andere Frau Einfluss auf ihn gewann.
Dann aber hatte Robustelli einen Hoteldirektor aus demEngadin kennengelernt, der ihn davon überzeugte, dass ausgerechnet dort oben in den Schweizer Bergen eine großartige Zukunft
vor ihm liege. Etwa in St. Moritz und dem nahe gelegenen Maloja gebe es exquisite Hotels, die den Adel und Geldadel aus allen
Teilen Europas, ja der ganzen Welt anzogen. Und so hatte Achille Robustelli ganz ohne Schuldgefühle einen Besuch in Bergamo
ausfallen lassen, um den Engadiner Hotelier zu besuchen. Das Hotel Kursaal Maloja benötigte, geschüttelt und durchgerüttelt
von den Skandalen um seinen Erbauer, einen zuverlässigen Mann als rechte Hand für den Hoteldirektor.
Robustelli nahm die Stelle an. Im Frühling 1888, er war ganze dreiundzwanzig Jahre alt, küsste er seine laut klagende Mutter,
die Schreckliches in einem fremden Land auf ihn zukommen sah, versprach, sie in den Wintermonaten zu besuchen, da das Hotel
nicht in der Lage war, eine Wintersaison anzubieten, und zog nach Maloja.
Auch dieses Jahr hatte Robustelli die Wintermonate in Bergamo verbracht. Seine Mutter war mittlerweile im Stillen zu der Einsicht
gelangt, dass eine Frau im Leben ihres Sohnes ihr auch Vorteile bringen konnte. Den nämlich, dass er der Liebe wegen vielleicht
nach Bergamo zurückkommen würde. Dazu aber musste diese Frau aus Bergamo oder Umgebung stammen und vor den mütterlichen Augen
bestehen. Allein, es stellte sich heraus, dass der Geschmack ihres Sohnes sich nicht mit dem ihren deckte. Bei keiner der
jungen Frauen, die sie ihm vorstellte, biss er an, und keine, die er kennenlernte und anschleppte, fand ihre Gnade.
Das alles ging Achille Robustelli durch den Kopf, als die hübsche Andrina sein Büro verließ. Aber nun musste er weitermachen,
denn Tagträume konnte er sich in seiner Position nun wirklich nicht leisten.
Segantinis Traum
Ein merkwürdiger Tag war das. Schon vom frühen Morgen an. Es kam hier und da vor, dass er träumte und von seinen Traumbildern
schweißnass erwachte. Aber heute …
Giovanni Segantini schob suchend seine Hand hinüber. Ja, sie war da. Bice lag ihm zugewendet und rückte, halb geweckt durch
die Berührung an
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