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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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rauchten, plauderten miteinander und warteten auf Kundschaft, während
     sie unauffällig die Touristen musterten. Betsy übernahm die Verhandlungen und erwies sich als gute Geschäftsfrau.
    »Lassen Sie mich machen«, hatte sie zu Edward gesagt. »Ich kenne die Leute hier besser. Der Tourismus hat die meisten verdorben.
     Das können Sie übrigens in den Reiseführern über die Schweiz nachlesen.«
    Die Vorbereitungen für die Bergwanderung nahmen einige Zeit in Anspruch. Unter den ungläubigen Blicken seines Freundes erstand
     Edward einen Alpenstock, mannshoch, und sportliche Gamaschen, ja, er ließ seine festesten Schuhe mit Nägeln besohlen, um am
     Berg sicheren Halt zu haben. Das weiße Hemd, Krawattentuch und Weste behielt er selbstverständlich bei, war sich aber unschlüssig,
     ob er noch ein Wanderjackett anschaffen sollte, was ihm James kurzerhand verbot.
    Betsy entschied sich für das moosfarbene Kostüm, da man die Jacke ausziehen konnte, wenn es heiß wurde. Auf praktische Details
     wie das Gummiband, mit dessen Hilfe sich der Rock beim Steigen hochraffen ließ, hatte die Schneiderin sie schon hingewiesen.
     Einen Wanderstock kaufte auch sie,vertraute aber ihrem Schuhwerk auch ohne Nägel, denn sie war gut zu Fuß. Deshalb sah sie den Führer, einen gut aussehenden,
     braun gebrannten Mann namens Caviezel, auch nur verächtlich an, als dieser ihr empfahl, sich im Tragsessel zur Innquelle hinauftragen
     zu lassen. Immerhin stimmte sie dem Vorschlag zu, einen Maulesel mitzuführen. Er konnte, in etwas lächerlich verzierten Seitentaschen,
     das Picknick tragen.
    Der schöne Bergführer sagte nichts darauf, die Dame würde vielleicht noch froh sein um den Maulesel, und bestellte die Herrschaften
     für den ausgemachten Tag auf morgens neun Uhr zur Station des Pferdeomnibusses beim Hotel Kursaal Maloja. Von dort sollte
     der Aufstieg in Angriff genommen werden.
     
    Der Morgen war klar und duftete nach frischem Heu, als Betsy auf Edward wartete. Obwohl sie nicht zu Schuldgefühlen neigte,
     fragte sie sich einen Moment, ob sie als Witwe wirklich einen solchen Unternehmungsgeist zeigen und eine so unbeschwerte Freude
     empfinden durfte – noch dazu an der Seite eines Mannes, den sie kaum kannte. Doch das beglückende Gefühl, endlich wieder zu
     leben, setzte sich durch und verdrängte nicht zuletzt auch Betsys Sorge um Mathilde.
    Auch Edward war überrascht, wie gut gelaunt er war. Als bliese der Fahrtwind seine Vorsicht und das Misstrauen, das er sich
     anerzogen hatte, aus seinem Kopf. Er freute sich auf den Tag mit Betsy. Die Pferde trabten locker die Straße Richtung Maloja
     entlang. Links von ihnen lagen die Seen, aufgereiht wie auf einer Perlenkette folgte auf den Moritzer See der See von Champfèr,
     der Silvaplaner See, der Silser See.
    Sils Maria, ein verträumter Ort abseits der Straße, gehörte praktisch den Deutschen und machte den überdrehten Trubel der
     internationalen High Society nicht mit – oder wurde von dieser als zu still und darum langweilig empfunden. Soverlockte der Ort die auf Amüsement erpichte Gesellschaft, die den Tee im Hochgebirge ganz so wie in den Salons von London,
     Paris, Rom oder St. Petersburg einnehmen wollte, höchstens zu einem Nachmittagsausflug. Und Nietzsche, der Sils in der intellektuellen
     Welt zu einem Namen gemacht hatte, verbrachte seine Sommer schon seit ein paar Jahren nicht mehr dort.
    Doch schon näherte man sich dem Ort Maloja und dem alles dominierenden Hotel Kursaal.
     
    Der Aufstieg zog sich länger hin, als Betsy gedacht hatte. Der Weg war zwar nicht gefährlich, aber steil und anstrengend.
     Die Baumgrenze und den Schatten der letzten Arven hatten sie schon nach wenigen Metern hinter sich gelassen, aber beharrlich,
     wie Betsy war, gab sie nicht so schnell auf, zog die Kostümjacke aus, als ihr heiß wurde, und verfluchte innerlich den langen
     Rock. Der Stoff war schwer und hinderlich beim Steigen, die Männer waren zu beneiden, wenngleich auch Edward ab und zu unauffällig
     den Kragen seines Hemdes lockerte und den Hut absetzte. Der Führer war so klug, den Maulesel nicht mehr zu erwähnen. Betsy
     warf dem gesattelten Tier, das gleichmütig bergauf trottete, im Stillen einen sehnsüchtigen Blick zu. Sie sprachen wenig.
    Ab und zu hielten sie schwer atmend an, tranken einen Schluck Tee, bewunderten den Ausblick und legten eine Verschnaufpause
     ein. Aber kaum blieben sie eine Weile stehen, tauchten wie aus dem Nichts Bauernmädchen auf,

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