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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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»Na, komm schon, mach. Hier drinnen kriegst du den Apfel.«
    Sie duckte sich und ging vor, in die Höhle hinein, und Hans gab Nika einen Stoß, dass sie hinterherstolperte. Reto schrie
     leise auf, und als Nika den Kopf nach ihm umwandte, sah sie, wie Hans ihm den Mund zuhielt und zischte: »Und du hältst den
     Mund. Sonst kannst du was erleben.«
    Elsa hielt Nika am Ärmel fest, und Hans, der ihnen nachgekommen war, stellte sich vor den beiden auf und versperrte den Eingang.
    Sie hatten ihren Streich vorbereitet. Auf ein Zeichen hin fingen die anderen an, mit vereinten Kräften einen Felsbrocken vor
     den Eingang zu schieben. Maria hielt Reto, der angstvoll wimmerte, draußen den Mund zu. »Wenn du nicht still bist, kommst
     du auch da rein«, sagte sie.
    Als der Stein den Eingang schon fast verschloss, ließ Elsa Nika los.
    »Geh jetzt raus«, sagte Hans und machte Elsa ein Zeichen mit dem Kopf.
    »Und du«, sagte er zu Nika, »kriegst den Apfel wirklich. Das hättest du nicht gedacht, he?« Er lachte.
    Nika konnte seine Gesichtszüge nicht mehr erkennen, so dunkel war es schon in der Höhle. Elsa, die sich durch denschmalen Spalt aus der Höhle quetschte, protestierte. »Du, den Apfel will ich«, sagte sie.
    Hans drückte Nika den Apfel in die Hand. »Die Elsa ist ein schlimmes Weibsbild. Hier, du kannst ihn trotzdem haben.«
    Dann stieß er Nika tiefer in die Höhle hinein.
    »Warum macht ihr das?«, fragte Nika. »Warum sperrt ihr mich hier ein?«
    »Einfach so«, erwiderte Hans und zwängte sich durch den Spalt nach draußen.
    Dann rollten sie den Felsbrocken ganz vor den Eingang, und es war dunkel in der Höhle.
    Sie hatten das Medaillon nicht gefunden und auch sein Fehlen in der Truhe nicht bemerkt. Sie hatten keinen Grund für das,
     was sie taten.
    Die Höhle war feucht und kühl. Allerlei Gerümpel und Unrat hatte sich hier angesammelt, aber es war zu dunkel, um irgendetwas
     zu erkennen. Nika kauerte sich nahe beim Eingang auf den Boden. Von draußen drang kein Laut herein.
    Sie verlor das Gefühl dafür, wie spät es war. Irgendwann würde es auch draußen dunkel werden.
     
    Hans sah Reto nur drohend an, als die Bäuerin nach Nika fragte.
    »Keine Ahnung, wo sie ist.« Er zuckte mit den Schultern.
    »Die kann was erleben, wenn sie zurückkommt«, sagte der Bauer.
    »Vielleicht ist sie ja weggelaufen«, sagte Hans.
    Am anderen Morgen hielt es Reto trotz seiner Angst nicht länger aus und verriet der Bäuerin, wo Nika war.
    Sie schickte die Burschen los.
    »Bringt sie her. Aber schnell«, sagte sie und behielt Reto bei sich, damit sie ihn nicht windelweich schlugen.
    Als der Stein von der Höhlenöffnung weggeschoben wurde und Hans Nika herauszog, schwiegen alle.
    Dann sagte Hans: »Sie hat vor Angst in die Hosen gemacht.«
    Aber es lachte niemand so richtig. Sie zerrten Nika, die vor Kälte schlotterte, zum Hof zurück.
    Die Bäuerin sagte nichts und schickte sie mit einer Handbewegung an die Arbeit. Der Bauer seinerseits wartete nicht, bis der
     Sonntag kam. Er zog den Gürtel ab und sagte: »Du dreckiger Balg, wenn du noch mal verschwindest, setzt es eine andere Tracht
     Prügel.«
    Von da an hatte Nika geschwiegen.

Gratwanderungen
    Achille Robustelli saß an seinem Schreibtisch und spürte eine leise Unruhe. Sein ganzes Augenmerk galt zwar dem reibungslosen
     Betrieb des Hotels, aber er hatte auch ein feines Sensorium für Unstimmigkeiten und Störungen des Gleichgewichts in seinem
     allgemeinen Umfeld. Und davon gab es einige.
    Andrina ärgerte sich offensichtlich über die Versetzung der Straniera in den Park. Als Stubenmädchen sah sie zwar in die Zimmer
     der Gäste hinein, war aber selbst wenig sichtbar, und wenn sie die Zimmer betrat, waren die glanzvollen Gäste meist ausgeflogen
     und hinterließen ihr nur die undankbare Aufgabe, hinter ihnen herzuräumen, während die Straniera, so sah es Andrina, vom Garten
     aus fast am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, zumindest aber es beobachten konnte. Darüber geriet Andrina in schlechte
     Laune, wie Robustelli bemerkt hatte.
    Dazu gab es bei den Biancottis zu Hause noch andere, weit größere Sorgen. Gian kämpfte nach wie vor auf Tod und Leben. Robustelli
     hätte der Familie – der hübschen Andrina wegen – gerne geholfen, aber Andrinas Mutter verübelte ihm, dass er Luca den Weg
     geebnet hatte, zur Bahn zu gehen, und wäre wohl auch sonst zu stolz, von einem Fremden Geld für den Arzt anzunehmen – wenn
     sie überhaupt an die

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