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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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hatte erwähnt, er
     müsse wieder einmal einen Tag mit Edward verbringen. Warum wappnete er sich so vorsorglich? Er brauchte keine Angst zu haben,
     nachrennen würde sie ihm nicht!
    Der Himmel war ganz mit einem leichten weißlichen Schleier bezogen, ein diffuses Licht lag über der Landschaft. Eine merkwürdige
     Leere breitete sich in Kate aus, obwohl sie sich wie gewohnt einen Ruck gab, der sie in die geistesgegenwärtige, witzige Kate
     zurückverwandeln sollte, die sie der Welt am liebsten zeigte. O ja, sie hatte einen eisernen Willen, und das hatte ihr schon
     oft geholfen. Nur heute war das Leben seltsam schwer. Sie streckte ihren Arm aus und hielt ihre rechte Handfläche in die Luft.
     Die Sperlinge hüpften herbei, und ein paar Haubenmeisen auf den untersten Ästen der Bäume legten die Köpfchen schief und wetzten,
     unsicher, ob sie sich näher heranwagen sollten, die Schnäbel an den Zweigen. Doch Kate hatte weder Brotkrumen noch Vogelfutter
     anzubieten, und so setzte sich kein Vogel auf ihre leere Hand. Da kamen ihr sonderbarerweise die Tränen, und sie stand schnell
     auf.
    Seit sie hier oben logierten, hatte niemand gefragt, warum sie und Robert eigentlich hier waren und warum Kate hier und da
     in die Thermen ging, und im Grunde war ihr das recht gewesen. Nur in diesem Moment kränkte es sie, so wie es sie kränkte,
     dass sie keine Kinder bekam, obwohl sie eigentlich gar keine wollte. Sie hatte das Heilwasser für eine Trinkkur in Flaschen
     auf ihr Zimmer bringen lassen, aber Bäder wollte sie nicht nehmen, obwohl Robert sie dazu gedrängt hatte. Robert war so simpel
     gestrickt. »Probieren wir es doch mit einer Kur, wenn du keine Kinder kriegst«, hatte er gesagt, »vielleicht nützt es.« Das
     war schon alles gewesen, was ihm einfiel.
    Sie setzte ein trotziges Gesicht auf, scheuchte die lamentierenden Spatzen mit dem Sonnenschirm auseinander und nahm sich
     vor, den Pferdeomnibus zu nehmen und die Auslagen in der Ladengalerie von St.-Moritz-Bad zu studieren. Irgendjemand hatte
     behauptet, Schweizer Uhren seien großartig und sehr en vogue. Und dann konnte man noch das Palace in Augenschein nehmen, das
     sehr bald feierlich eröffnet werden sollte.
    ***
    »Bist du schon einmal in St. Moritz gewesen?«, fragte Segantini. Nika schüttelte den Kopf. Da sie zwar beschlossen, ihm aber
     nicht mitgeteilt hatte, dass sie ihn nicht wiedersehen wollte, kam er weiterhin unbekümmert vorbei.
    »Ich habe ein paar Besorgungen zu machen. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Ich habe einen Wagen bestellt. Stell dich um
     drei an die Straße, dann lasse ich den Kutscher halten.«
    Nika sah zur Seite. Es gefiel ihr nicht, wie er mit ihr sprach.
    »Ich muss arbeiten«, erwiderte sie, »das wissen Sie doch.«
    »Gaetano!«, rief er da, und als der Alte herbeischlurfte, »Nika kommt heute Nachmittag mit mir nach St. Moritz. Sie wird die
     Zeit nachholen.«
    »Ich hab schon verstanden«, gab Gaetano zurück.
    »Gar nichts hast du verstanden«, sagte Segantini ärgerlich.
    »Ich auch nicht«, antwortete Nika, während der Gärtner den Mund hielt und sich entfernte.
    Segantini sah sie verwundert an.
    »Dann denk ein bisschen nach«, sagte er. Seine Stimme war wieder sanft.
    Nika sah zu Boden und erwiderte: »Vielleicht sollten besser Sie das tun.«
     
    Der Kutscher hielt an, stieg aber nicht vom Wagen. Segantini beugte sich vor, reichte Nika die Hand und zog sie in die offene
     Droschke. Staub wirbelte hinter ihnen auf, als die Pferde lostrabten, und Segantini lachte, als er Nikas verschlossenes Gesicht
     sah.
    »Hast du noch nie in einer Kutsche gesessen?«
    Nika schüttelte den Kopf.
    »Die Bauernkarren fahren nicht so schnell wie diese hübsche Victoria, oder?«
    Sie gab keine Antwort. Es war nicht die Geschwindigkeit. Sie nahm es sich übel, dass sie überhaupt eingestiegen war. Warum
     war sie zur Straße gegangen? Sie hätte einfach weiterarbeiten sollen. Gaetano war erbost gewesen über diese neuen Eskapaden,
     hatte gedroht, zu Robustelli zu gehen. Das durfte er auf keinen Fall tun, sie brauchte Signore Robustellis Unterstützung bei
     der Arbeitssuche für den Winter. Und doch ging es ihr, kaum war Segantini bei ihr, plötzlich wieder gut, und sie hätte zwitschern
     und singen können wie ein Vogel im Frühling. Er war ein alter Mann und hatte eine Frau. Ging das nicht in ihren dummen Kopf?
     Und er kommandierte sie herum wie der Bauer auf dem Hof.
    Der Wagen war ein Zweisitzer. Über ihnen wölbte sich

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