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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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eine Bewegtheit der farbigen Materie,
     ein höheres Maß an Licht, Luft und Naturtreue.«
    Segantini ahnte, dass James Danby nun nach seiner Ausbildung, seinen Vorbildern fragen würde – das taten alle. Darum sprach
     er gleich weiter, als Bonin seine letzten Worte übersetzt hatte: »Ich hatte mich an der Mailänder Akademie für Aktzeichnen
     eingeschrieben und wurde auch ohne Schwierigkeiten aufgenommen, weil ich schon die Abendkurse für Ornamentik besuchte. Aber
     wenige Monate genügten, um mir die Nutzlosigkeit des akademischen Unterrichtes für jeneklarzumachen, die mit einer Künstlerseele geboren sind. Ich lehrte mich selbst, was ich brauchte. Die Akademien bilden eine
     große Zahl von Malern heran, die keine Künstler sind«, setzte er abschätzig hinzu.
    Er wartete auf Widerspruch, aber James widersprach nicht.
    »Sie haben sich also gar nicht an anderen Malern orientiert?«, fragte er hingegen noch einmal nach.
    »Nein«, antwortete Segantini leicht gereizt, »das sagte ich ja. Später hat mir mein Freund Grubicy Reproduktionen von Bildern
     Millets gezeigt, und ich tausche mich natürlich mit einigen Freunden und Kollegen aus.«
    Segantini versank wieder in Erinnerungen und knüpfte dann dort an, wo James ihn unterbrochen hatte. »Mit dem ersten Wissen,
     das ich mir allein erworben hatte, ging ich in die Brianza, fast vier Jahre lang. Bice kam mit mir, die Kinder wurden geboren   …«
    James rutschte auf seinem Stuhl nach vorne und unterbrach:
    »Die Brianza? Was ist das? Eine Gegend?«
    »Ja«, warf Bonin ein und antwortete für Segantini, »die Brianza ist die Landschaft nördlich von Mailand, südlich vom Comer
     See.«
    Segantini nickte, da er verstand, dass Bonin über die Brianza sprach.
    »Es zog mich in die Natur«, fuhr er sogleich fort. »Die Natur war für mich gleichsam ein Instrument geworden, das Töne von
     sich gab, welche all das, was mein Herz erzählte, begleiteten. Immer wieder sind es die ruhigen Harmonien der Sonnenuntergänge,
     in denen ich mich finde, ist es die Süße einer Melancholie, die meinen Geist erfüllt, immer wieder, von Kindheitstagen an.«
    »Sie haben Ihre Mutter sehr früh verloren«, hakte James ein, »Ihren Bruder, Ihren Vater. Der deutsche Dichter RainerMaria Rilke hat Sie nicht nur den ›Lichtmaler von Maloja‹ genannt, sondern auch einen ›großen Einsamen‹   …«
    Segantini horchte auf, ging aber nicht näher auf die Bemerkung ein, sondern fuhr unbeirrt fort: »Ich spürte, dass ich das
     Licht des Gebirges brauchte. Es zog mich in die Höhe hinauf, immer weiter nach oben. Ich suchte die Helligkeit, das Licht.
     Mailand ist ein Sumpf   …«
    James, der einiges in London über Segantini zusammengesucht hatte, ergänzte: »Sie zogen nach Savognin, 1886   …«
    Segantini lachte laut auf und nahm etwas von dem Gebäck, das der Kellner auf den Tisch gestellt hatte. »Ja, mein Freund Dalbesio
     hatte die Bündner Berge durchwandert und war so begeistert, dass Bice und ich auf halsbrecherischen Pfaden«, er lachte noch
     einmal, als er an die Anstrengung dachte, »über die Bergamasker Alpen ins Veltlin wanderten. Mit einem gemieteten Einspänner
     fuhren wir über den Berninapass ins Engadin, und ich reiste dann weiter über den Julier nach Norden, vorbei an Savognin bis
     nach Tiefencastel. Doch auf einmal ließ ich den Kutscher halten und umkehren, zurück nach Savognin. Ich wusste plötzlich:
     Das war die Landschaft, die ich suchte, die in meinem Innern schon ihre Entsprechung hatte   …«
    Bonin übersetzte, und James machte sich Notizen.
    Segantini wartete höflich und bestellte eine Flasche Veltliner mit drei Gläsern. Dann fuhr er fort: »So mittellos und unbekannt
     ich auch in Savognin war, der Hotelier, Signore Pianta, fasste Vertrauen zu mir und half mir mit der erforderlichen Kaution
     aus, damit ich mich in der Schweiz niederlassen konnte. Sie wissen vielleicht, ich bin dank unglücklicher Umstände staatenlos.«
     Er griff nach dem Glas, hob es mit einem Nicken gegen seine Gesprächspartner hoch und trank es aus. »Im August 86 holte ich
     meine Familie in einem voll gepackten Gefährt in die neue Heimat, mit 35   Centesimi in der Tasche   …«
    Er erwähnte nicht weiter, wie viel Pianta für ihn getan und mit wie viel Schulden er Savognin 1894 verlassen hatte.
    »Ich war benommen von der Kraft der Farben, der kristallenen Klarheit des Gebirges, ich ging immer höher hinauf, allein, versenkte
     mich in die Natur, in die

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