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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Zigarettenetui aus der Schublade, betrachtete sich aber nicht in der
     glatt glänzenden Fläche, sondern zündete sich gedankenverloren eine Zigarette an. Man wusste wirklich gar nichts über Nika,
     auch wenn man ihr jeden Tag begegnete.
    ***
    Kate hatte dringliche geschäftliche Angelegenheiten ihres Mannes als Grund für die plötzliche Abreise angegeben. Es sollte
     den Anschein haben, als ob Robert vor dem Abschluss eines großen Geschäfts stünde, dem sie als liebende Gattin mit entgegenfieberte
     – so sehr, dass auch sie ihre Ferien vorzeitig abbrach und auf den festlichen Anlass der Eröffnung des Palace in St. Moritz
     verzichtete, um ihrem Mann in diesem wichtigen Moment nahe zu sein.
    Mit besonders stolz erhobenem Kopf rauschte sie die Treppe hinunter und bedachte Betsy, die sie zufällig bei der Rezeption
     traf, mit einem warmen Lächeln.
    »Betsy, wie schön, dass ich Sie noch vor meiner Abreise sehe!«, rief sie. »Sie Glückliche, genießen Sie das Eröffnungsfest
     im Palace, es wird sicher unvergesslich sein.« Sie nahm Betsys Hand. »Ich beneide Sie! Sie wissen ja, wie sehr ich solche
     glamourösen Abende liebe.« Sie machte eine kurze Pause, damit ihr Bedauern spürbar wurde, dann setzte sie mit fröhlicher Miene
     hinzu: »Ihre Nichte im Krankenhaus, ich schon im Zug   – Sie werden glänzen, meine liebe Betsy!«
    Betsy, immer wieder überrascht von Kates blitzschnellen Beleidigungen, sagte nichts darauf und wünschte Ms. Simpson eine gute
     Reise. Kate nickte: »Ja, dem lieben Robert tut es gut, dass ich mit ihm fahre. Es geht nichts über eine gute Ehe, aber das
     wissen Sie ja, Sie waren ja auch einmal verheiratet.«
    Betsy ließ Kates Hand, die die ihre noch immer festhielt,abrupt los. Ein Segen, dass diese Person, aus welchen Gründen auch immer, von der Bühne verschwand. Aber Kate war noch etwas
     in den Sinn gekommen.
    »Oh, Betsy, einen Moment noch. Ich denke, ich sollte Ihnen das sagen, sonst mache ich mir später Vorwürfe.«
    Betsy zog die Augenbrauen hoch, blieb aber stehen.
    »Nun, was, meinen Sie, sollte ich unbedingt noch wissen?«
    »Ach, es geht um Ihre Nichte. Unser lieber James, ich glaube, Sie mögen ihn auch, hat sich bei der kleinen Mathilde nicht
     gerade comme il faut benommen, wie er mir gestanden hat. Ich nehme fast an, Mathilde hat Ihnen das verschwiegen, und dass
     James Ihnen nicht davon berichten wird, ist verständlich. Aber ich dachte, Sie sollten doch wissen, dass er Ihre Nichte mehr
     als kompromittiert hat. Sie ist doch verlobt, sagten Sie. Aber nun muss ich wirklich los. Mein Gott, Robert wartet schon eine
     Ewigkeit im Wagen auf mich   …«
    Damit eilte sie davon, noch ehe Betsy etwas sagen konnte.
    ***
    Nika hatte Postkutschenträume. Einmal raste eine Postkutsche durch Mulegns, die Pferde, in wildem Galopp, gingen durch. Entgeistert
     sah die Posthalterin der schlingernden Droschke nach. Nika stand neben ihr, schon erwachsen, und deutete auf den weißen Frauenarm,
     der aus dem Fenster der Kutsche winkte.
    In einem anderen Traum sah sie Segantini in einer anderen Kutsche sitzen. Er streckte den Kopf aus dem Fenster, sie sah nur
     die dunklen Locken wie an dem Tag, an dem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Während der Fahrt warf er die Zeichnungen
     aus dem Fenster, die sie ihm gegeben hatte. Traurig sammelte sie die verstreuten Blätter ein.
    Dann wieder war sie es, die eine Kutsche bestieg. »Nach Italien!«,rief sie dem Kutscher zu, aber der Kutscher schüttelte nur den Kopf. »Für Italien habe ich keine Lizenz«, sagte er, »da musst
     du schon laufen. Fahren wird dich keiner.«
    Nicht nur die Träume plagten Nika. Auch am Tag war sie unglücklich. Sie war noch immer wütend auf ihre Mutter, die nur halbe
     Sachen zustande gebracht hatte. Hätte sie sie doch ausgesetzt und wäre ohne ein Zeichen verschwunden. Dann müsste sie jetzt
     nicht grübeln, ob ihre Mutter sie nicht vielleicht doch mit einer Ecke ihres Herzens liebte und mit der Botschaft des Medaillons
     zu sich rief.
    Trotzdem hatte Nika das Medaillon, das sie vor einiger Zeit im Zorn weggeworfen hatte, gesucht. Ein Wunder, dass sie es im
     Heu wiederfand. Aber sie trug es nicht mehr, sondern versteckte es nur unter ihrem Strohsack.
    Segantini kam seltener. Er nutzte die Tage zum Malen oder war vorsichtiger geworden. Sie hatte sich geschworen, nicht mehr
     schreiben zu üben und nicht mehr zu zeichnen, weil es sie an Segantini erinnerte. Trotzdem tat sie genau das. Sie schrieb
    

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