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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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behilflich sein sollte. Aber alles, was Andrina
     tat, war falsch.
    »Wie dumm willst du dich denn noch anstellen, Herrgott noch mal!«, rief sie ärgerlich. »Glaubst du, nur weil du ein hübsches
     Gesicht hast, brauchst du nicht zu arbeiten?« Kate stieß das Stubenmädchen unsanft zur Seite. »Nun steh doch nicht so dekorativ
     im Weg herum!« Dabei entglitt ihr der lachsfarbene Seidenmantel, den sie gerade aus dem Schrank genommen hatte. Andrina wollte
     ihn pflichtschuldigst vom Boden aufheben, aber Kate fauchte nur: »Lass das! Das ist nichts für deine Bauernhände. Geh, du
     bist ja nicht die geringste Hilfe!«
    Andrina ging, gekränkt, dass ihr Vorbild sie derart abschätzig behandelte. Alles, alles musste man daran setzen, es im Leben
     weiterzubringen als bis zum Stubenmädchen. Werwollte sich auf Dauer so herumkommandieren und erniedrigen lassen?
    Doch da rief Ms Simpson sie schon wieder zurück.
    »Geh und sag dem Etagenkellner, ich möchte eine heiße Schokolade, das beruhigt mich. Und dann packe die Hüte in die Hutschachteln.
     Aber vorsichtig.«
    Die warme Schokolade schien Kate tatsächlich zu besänftigen.
    »Weißt du übrigens, wen ich in St. Moritz zufällig gesehen habe?«, fragte sie Andrina. »Du wirst es nicht erraten. Die schöne
     kleine Gärtnerin. Und weißt du mit wem? Mit dem schwarzgelockten Menschen, diesem Maler aus Maloja. Wie heißt er noch?«
    »Segantini?«, soufflierte Andrina.
    »Richtig. Segantini. So heißt er wohl. Was sagst du dazu? Ziemlich unschicklich, nicht wahr? Der kleine Bauerntrampel in St.
     Moritz unterwegs, mitten unter den Gästen. Nun, hübsch ist sie und scheint ihren Vorteil daraus zu schlagen.« Ihre Laune verdüsterte
     sich wieder. Sie musterte Andrina und sagte dann gleichgültig: »Sie ist schöner als du. Aber was soll’s. Ein Maler ist keine
     besondere Errungenschaft.«

Das Interview
    James hatte sich auf sein Gespräch mit Segantini vorbereitet, zur Verwunderung seines Freundes.
    »Du solltest wissen, dass ich meine Arbeit ernst nehme«, beschwerte sich James, »auch wenn mir nicht jeder Auftrag Spaß macht.
     Ich werde dem ›Maler der Berge‹, dem ›athletischen Christus‹, wie ihn jemand genannt hat, ein paar Geheimnisse entreißen.
     Findest du nicht, Eddie, dass er sich mit einer Art Prophetenaura umgibt?«
    »Ich weiß nicht.« Edward war in Eile, weil er zu Mathilde wollte. »Er ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit, stark, sehr
     männlich, ein Patriarch würde ich sagen   …«
    Er nahm den Hut, winkte James flüchtig zu und war schon aus der Tür.
    James seinerseits machte sich auf nach Maloja. Hoffentlich würde der junge Mann, der sich bereit erklärt hatte, als Dolmetscher
     zu fungieren, seine Sache gut machen.
     
    Achille Robustelli hatte Giovanni Segantini und Fabrizio Bonin schon miteinander bekannt gemacht und das Personal angewiesen,
     den Herren einen ruhigen Tisch in der Bibliothek freizuhalten.
    Der junge Bonin war eine angenehme Erscheinung. Weniger dunkel und weniger auffallend als Segantini, ein aschblonder Venezianer,
     etwa Mitte zwanzig, gut, aber unauffällig gekleidet. Seine klare und freundliche Stimme drängte sich so wenig vor wie der
     ganze Mensch, und doch, das fand zumindestRobustelli, hatte Bonin eine unübersehbare Präsenz. Robustelli jedenfalls mochte ihn auf Anhieb.
    Der Graf Primoli, den Bonin begleitete, hatte sich bereit erklärt, einige seiner Fotografien von Venedig im Hotel Kursaal
     auszustellen, bevor er nach Paris weiterreiste, und Bonin wollte sich um die praktische Seite der Ausstellung kümmern.
     
    »Ob ich eine Botschaft habe?«, wiederholte Segantini James’ Frage. »Das Licht. Die reine, ungemischte Farbe.«
    James saß ruhig da und wartete.
    »Als ich die Akademie in Mailand besuchte«, erklärte Segantini, »malte ich mein erstes Ölbild, den Chor der Kirche von St.
     Antonius.« Er lächelte bei dem Gedanken an diese alten Zeiten. »Durch ein geöffnetes Fenster drang ein Lichtstrom ein, der
     die in Holz geschnitzten Sitze des Chores mit Helligkeit übergoss. Schon damals bemühte ich mich vor allem, das Licht festzuhalten.
     Doch beim Mischen der Farben auf der Palette bekommt man weder Licht noch Luft. So suchte ich nach einem Weg, die Farben echt
     und rein aussehen zu lassen, und fand ihn, indem ich sie auf der Leinwand ungemischt nebeneinandersetzte und es dann der Netzhaut
     des Betrachters überließ, sie beim Betrachten des Gemäldes zu verschmelzen. Ich erhielt so

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