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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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könnt mich ja rauswerfen‹; keiner antwortete. Robert ging nach den Mahlzeiten mit Vater ins Atelier hinüber, saß nur da, zeichnete, spielte mit Formeln in dem leeren großen Raum, wo noch die Zeichentische von fünf Architekten standen; leer; während der Alte müde seinen Kittel überzog, dann zwischen Zeichenrollen kramte, immer wieder vor dem Plan von Sankt Anton stehenblieb, später wegging, spazieren, Kaffee trinken, alte Kollegen, alte Feinde besuchen; Eiszeit brach in den Häusern aus, wo er schon seit vierzig Jahren gern gesehener Gast war; in manchen Häusern des einen, in manchen des anderen Sohnes wegen; und er war doch fröhlich angelegt, der Alte, dazu geschaffen, ein munteres Leben zu führen, Wein und Kaffee zu trinken, zu reisen und die hübschen Mädchen, die er auf der Straße, in Eisenbahnzügen sah, alle als respektive Schwiegertöchter zu betrachten; oft ging er stundenlang spazieren, mit Edith, die den Kinderwagen schob; er hatte wenig zu tun, war glücklich, wenn er an Krankenhäusern, die er gebaut
    hatte, kleine Umbauten planen, beaufsichtigen konnte, nach Sankt Anton fahren, die Reparatur einer Mauer veranlassen konnte; er glaubte, Robert grollte ihm, und Robert glaubte, der Alte grollte ihm. Aber jetzt war er gereift, selbst Vater erwachsener Kinder, Mann, vom Schicksal geschlagen durch den Tod der Frau; emigriert gewesen, heimgekehrt; im Krieg; verraten und gefoltert; selbständig, mit einem klar erkennbaren Platz: ›Dr. Robert Fähmel, Büro für statische Berechnungen, Nachmittags geschlossen‹; endlich zum Gesprächspartner geworden.
    »Noch ein Bier, der Herr?« fragte der Wirt von der Theke her, wischte Bierschaum vom Nickelblech, entnahm der Kühlvitrine zwei Teller mit Frikadellen und Senf, brachte sie dem Pärchen, das in der Ecke saß, vom Landspaziergang erhitzt, in müder Glückseligkeit.
    »Ja, bitte«, sagte Robert, »noch ein Bier«, schob den Vorhang beiseite; der Vater bog nach rechts ab, ging am Friedhofseingang vorüber, überquerte die Straße, blieb am Gärtchen des Bahnhofsvorstehers stehen, blickte auf die violetten, eben erblühten Astern; offenbar zögerte er.
    »Nein«, sagte Robert zur Theke hin, »bitte zwei Bier und zehn Virginia-Zigaretten.«
    Wo jetzt das Pärchen saß, hatte der amerikanische Offizier am Tisch gesessen; blondes, kurzgeschnittenes Haar erhöhte den Eindruck der Jugendlichkeit; die blauen Augen strahlten Vertrauen aus, Vertrauen in die Zukunft, in der alles erklärbar sein würde; sie war in Planquadrate eingeteilt; nur die Frage des Maßstabs war noch zu klären; 1 : 1 oder 1 : 3.000.000? Auf dem Tisch, wo die Finger des Offiziers mit einem schlanken Stift spielten, lag das Meßtischblatt der Gemarkung Kisslingen. Der Tisch hatte sich in den dreizehn Jahren nicht verändert; rechts an dem Tischbein, wo die staubigen Sandalen des jungen Mannes jetzt Halt suchten, immer noch die Initialen, von einem
    hatte er Joseph Dodringer geheißen; auch die Tischtücher unverändert; rot-weiß kariert; die Stühle hatten zwei Weltkriege überdauert, astreines Buchenholz zu stabiler Sitzgelegenheit verarbeitet; seit siebzig Jahren dienten sie wartenden Bauernärschen; neu war nur die Kühlvitrine auf der Theke, wo krustige Frikadellen, kalte Koteletts und russische Eier auf Hungrige oder Gelangweilte warteten.
    »Bitte, der Herr, zwei Bier und zehn Zigaretten.«
    »Danke sehr!«
    Nicht einmal die Bilder an der Wand waren ausgewechselt; eine Luftansicht der Abtei Sankt Anton, noch mit der biederen Platte und dem schwarzen Tuch fotografiert, offenbar vom Kosakenhügel herunter; Kreuzgang und Refektorium, die gewaltige Kirche, Wirtschaftsgebäude; daneben hing ein verblaßter Farbdruck: Liebespaar am Feldrain; Ähren, Kornblumen, ein lehmig gelber, von Sonne ausgetrockneter Weg; neckisch kitzelte die Dorfschöne ihren Liebhaber, dessen Kopf in ihrem Schoß ruhte, mit einem Halm hinterm Ohr.
    ›Sie mißverstehen mich, Herr Hauptmann; wir würden so gerne wissen, warum Sie das getan haben; hören Sie? Wir kennen natürlich den Verbrannte- Erde-Befehl - Hinterlaßt dem Feind nur Trümmer und Leichen, nicht wahr? Aber ich glaube nicht, daß Sie es getan haben, um diesen Befehl zu befolgen; Sie sind - verzeihen Sie - zu intelligent, um das zu tun. Aber warum, warum haben Sie dann die Abtei gesprengt? Sie war in ihrer Art ein kulturgeschichtliches Denkmal ersten Ranges; jetzt, wo die Kampfhandlungen hier vorüber sind, und Sie unser Gefangener, der wohl kaum

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