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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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harte Lüge in mir zurück; Spieglein, Spieglein, Scherbenstück - sind meine Haare wirklich weiß geworden in den Folterkammern der sanften Stimmen; eins, eins, fünf - eine schläfrige Stimme: »Ja, bitte, hier Amt Denklingen« - »Hören Sie mich, Fräulein? Hören Sie mich?« - »Ja, ich höre« - Lachen
    - »Ich brauche dringend eine Verbindung mit dem Büro des Architekten Fähmel, Modestgasse 7 oder 8, beide Adressen sind unter Fähmel zu finden, Kind, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Sie Kind nenne?«
    »Nein, aber nein, gnädige Frau.«
    »Es ist sehr dringend.«
    Blätter wurden umgewendet.
    »Ich habe hier Herrn Heinrich Fähmel - und Herrn Dr. Robert Fähmel - welche Verbindung wünschen Sie, gnädige Frau?«
    »Mit Heinrich Fähmel.«
    »Bitte, bleiben Sie am Apparat.«
    Ob das Telefon immer noch auf der Fensterbank stand, so daß er beim Telefonieren auf die Straße blicken konnte und aufs Haus Modestgasse 8, wo seine Kinder auf dem Dach spielten; hinunter auf Gretzens Laden, wo der Keiler vor der Tür hing; ob es wirklich jetzt dort klingelt? Sie hörte das Rufzeichen sehr fern - die Pausen dazwischen kamen ihr unendlich lang vor.
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    »Bedaure, gnädige Frau, dort meldet sich niemand.«
    »Bitte, versuchen Sie es mit der anderen Nummer.«
    »Gern, gnädige Frau.« Nichts, nichts, keine Antwort.
    »Dann besorgen Sie mir bitte ein Taxi, Kind, ja?«
    »Gern. Wohin?«
    »In die Heilanstalt Denklingen.«
    »Sofort, gnädige Frau.«
    »Ja, Huperts, nehmen Sie den Tee weg, auch das Brot und den Aufschnitt. Und bitte, lassen Sie mich allein; ich sehe das Ta xi schon, wenn es die Allee heraufkommt; nein, danke, ich brauche nichts mehr; Sie sind wirklich keine Schallplatte? Ach, ich wollte Sie nicht kränken - es war nur ein Scherz; danke.«
    Ihr war kalt; sie spürte, wie ihr Gesicht zusammenschrumpfte, Großmuttergesicht, zerknittert, müde, in der Fensterscheibe war es zu sehen; keine Tränen; kroch sie wirklich silbern ins schwarze Haar, die Zeit? Ich hab schwimmen gelernt, aber nicht gewußt, wie kalt das Wasser ist; sanfte Stimmen peinigten mich, schlugen die Gege nwart in mich hinein; Großmutter mit Silberhaar, Zorn in Weisheit verwandelt, Rachegedanken in Verzeihen; Haß mit Weisheit kandiert; alte Finger klammerten sich um die Handtasche; Gold, aus dem verwunschenen Schloß mitgebracht, das Lösegeld.
    Hol mich ab, Liebster, ich kehre zurück. Ich werde deine weißhaarige, liebe alte Frau sein, eine gute Mutter und eine liebenswürdige Großmutter, die man seinen Freunden und Freundinnen als besonders nett schildern kann; war krank, unsere Großmutter, lange Jahre, aber sie ist gesund geworden, bringt eine ganze Handtasche voll Gold mit.
    Was werden wir heute abend im Cafe Kroner essen? Toast, mit Käse und Schinken überbacken, Erbsen mit saurer Sahne, ein Schnitzel dazu - und werden wir rufen: ›Hosianna, der Braut Davids, die aus dem verwunschenen Schloß heimgekehrt ist?‹
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    Gretz wird seine Aufwartung machen; der Mörder seiner Mutter; die Stimme des Blutes sprach nicht zu ihm, sprach nicht aus Otto; wenn der Turnlehrer auf dem Schimmel am Haus vorüberkommt, werde ich schießen. Von der Pergola bis zur Straße sind es nicht mehr als zehn Meter - die diagonale Linie kann nicht viel länger als dreizehn sein; ich werde Robert bitten, es mir genau auszurechnen; jedenfalls liegt es innerhalb der Grenzen der höchsten Treffsicherheit; Schußfeld hat es mir erklärt, er muß es wissen, unser weißhaariger Ministrant; morgen früh wird er seinen Dienst antreten; ob er bis dahin wissen wird, daß es nicht ›utilatem‹, sondern ›utilitatem‹ heißen muß? Rote Narbe überm Nasenbein - und ist also doch Hauptmann geworden; so lange hat der Krieg gedauert; die Fensterscheiben klirrten, wenn wieder eine Sprengladung explodierte, und morgens lag Staub auf der Fensterbank; ich schrieb mit meinem Finger in die Staubschicht: ›Edith, Edith‹ -
    ich liebte dich mehr, als die Stimme des Blutes mir hätte befehlen können; woher kamst du, Edith, sprich?
    Immer weiter schrumpfte ich; er wird mich auf den Händen tragen können, vom Taxi ins Cafe Kroner; ich werde pünktlich sein; es ist höchstens achtzehn Uhr sechs und dreißig Sekunden; mein Lippenstift ist von der schwarzen Faust voll Rache zerquetscht worden; und es zittern meine morschen Knochen, ich habe Angst, wie werden sie aussehen, meine Zeitgenossen; werden sie dieselben sein wie damals oder nur die gleichen? -
    und wie steht

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