Billard um halbzehn
Lehrer am Flußufer - nur Y; zwischen Sankt Johanns und Sankt Peters Fuß.
Langsam fuhr er zwischen Feldern dahin, wo sich die dicken Rüben schon unter gewaltigen grünen Blättern herausdrängten; Stoppelfelder, Wiesen, hinter denen schon der Kosakenhügel sichtbar wurde.
»Warum willst du es mir nicht sagen«, fragte Marianne.
»Weil ich es selbst noch nicht verstehe, weil ich es noch gar nicht für wahr halte; vielleicht ist es nur ein absurder Traum; vielleicht kann ich's dir später erklären, vielleicht auch nie.«
»Aber Architekt willst du nicht werden?«
»Nein«, sagte er.
»Bist du deswegen so auf das Schild zugefahren?«
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»Vielleicht«, sagte er.
»Immer habe ich Menschen gehaßt, die nicht wissen, was Geld ist«, sagte Marianne, »die unsinnig schnell mit Autos durch die Gegend fahren, auf Schilder zu, auf denen TOD steht; die ohne jeden Grund die Leute in Unruhe versetzen, die ihren wohlverdienten Feierabendspaziergang machen.«
»Ich hatte schon einen Grund, schnell auf das Schild zuzufahren.« Er fuhr langsamer, hielt auf einem sandigen Weg am Rand des Kosakenhügels, parkte das Auto unter
herabhängenden Kiefernzweigen.
»Was willst du hier?« fragte sie.
»Komm«, sagte er, »wir gehen noch ein bißchen spazieren.«
»Es wird zu spät«, sagte sie, »dein Großvater wird sicher mit dem Halb-fünf- Uhr-Zug kommen; es ist schon zehn vor halb.«
Joseph stieg aus, lief ein paar Schritte den Hügel hinauf, hielt sich die Hand vor die Augen und blickte in Richtung Denklingen.
»Ja«, rief er, »ich sehe den Zug schon von Dodringen kommen, immer noch die alte Puff-Puff wie in meiner Kindheit, und immer noch um die gleiche Zeit. Komm, sie werden wohl eine Viertelstunde warten können.«
Er lief zum Auto zurück, zog Marianne vom Sitz, am Arm hinter sich her den Sandweg hinauf; sie setzten sich in eine Lichtung; Joseph deutete in die Ebene, verfolgte mit seinem Finger den Zug, der sich durch Rübenäcker, zwischen Wiesen und Stoppelfeldern hin auf Kisslingen zu bewegte.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen«, sagte er, »wie gut ich diese Dörfer kenne; wie oft wir mit diesem Zug
hinausgekommen sind; nach Mutters Tod sind wir fast immer in Stehlingen oder Görlingen gewesen, und ich bin in Kisslingen in die Schule gegangen; abends liefen wir zum Zug, mit dem Großvater aus der Stadt kam, zu dem Zug da, siehst du, jetzt
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fährt er gerade in Denklingen ab; merkwürdig, und ich hatte immer das Gefühl, wir wären arm; solange meine Mutter noch lebte und Großmutter bei uns war, bekamen wir weniger zu essen als die Kinder, die wir kannten, und ich durfte nie gute Kleider tragen; nur umgearbeitete Sachen - und wir mußten zusehen, wie sie das gute Zeug an fremde Leute verschenkte, Brot, Butter und Honig, aus dem Kloster und von den Gütern; wir mußten Kunsthonig essen.«
»Du hast sie nicht gehaßt, deine Großmutter?«
»Nein, und ich weiß selbst nicht, warum ich sie wegen dieses Unsinns nicht haßte; vielleicht weil Großvater uns mit in sein Atelier nahm, uns heimlich gute Sachen gab; er nahm uns auch mit ins Cafe Kroner und stopfte uns voll; er sagte immer: ›Was Mutter und Großmutter tun, ist groß, sehr groß - aber ich weiß nicht, ob ihr schon groß genug für diese Größe seid.‹«
»Hat er das wirklich gesagt?«
»Ja«, Joseph lachte, »als Mutter tot war und Großmutter weggebracht wurde, waren wir mit Großvater allein, und wir hatten genug zu essen; die letzten Kriegsjahre waren wir fast immer in Stehlingen; ich hörte, wie sie in der Nacht die Abtei sprengten, wir hockten in Stehlingen in der Küche, und die Bauern aus der Nachbarschaft fluchten auf den deutschen General, der den Sprengbefehl gegeben hatte, und sie murmelten vor sich hin: wozuwozuwozu? Ein paar Tage später besuchte mein Vater mich, er kam in einem amerikanischen Auto, von einem amerikanischen Offizier begleitet, und dur fte drei Stunden bei uns bleiben; er brachte uns Schokolade mit, und wir waren erschrocken vor dem klebrigen, dunkelbraunen Zeug, das wir noch nie gegessen hatten, aßen es erst, als auch Frau Kloschgrabe, die Frau des Verwalters, davon aß; Vater brachte Frau Kloschgrabe Kaffee mit, und sie sagte zu ihm: ›Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Doktor, wir geben auf die Kinder acht, als ob es unsere eigenen wären‹, und sie sagte: ›Ist es nicht eine Schande, daß sie die Abtei noch so kurz vor Schluß
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in die Luft gejagt haben?‹, und er sagte: ›Ja, es
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