Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
korrekt,
    liebenswürdig - viel altmodischer als Großvater!«
    »Ich bin so gespannt auf ihn. Darf ich mich jetzt umdrehen?«
    »Ja.«
    Er ließ ihren Kopflos, versuchte zu lächeln, als sie sich plötzlich umdrehte, aber ihre runden hellgrauen Augen löschten sein gewaltsames Lächeln aus.
    »Warum sagst du es mir nicht?«
    »Weil ich es selber noch nicht verstehe. Sobald ich's verstanden habe, werde ich es dir sagen; aber das kann lange dauern; fahren wir?«
    »Ja«, sagte sie, »fahren wir; dein Großvater wird bald da sein; laß ihn nicht warten; wenn sie es ihm sagen, bevor er dich sieht -
    das wird schlimm für ihn sein, und bitte, versprich mir, daß du nicht wieder auf das schreckliche Schild zufährst und erst im letzten Augenblick stoppst.«
    -211-

    »Eben«, sagte er, »habe ich mir vorgestellt, daß ich durchfahre, die Baubuden wegrasiere und über die kahle Rampe hinweg wie von einer Schanze herunter ins Wasser springe mit dem Auto...«
    »Du magst mich also nicht.«
    »Ach, Gott«, sagte er, »es ist ja nur ein Spiel.«
    Er zog Marianne hoch; sie gingen die Treppe hinunter, die ans Flußufer führte.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte Joseph auf der Treppe, »daß Großvater es ausgerechnet heute erfahren muß, an seinem achtzigsten Geburtstag.«
    »Kannst du es ihm nicht ersparen?«
    »Die Tatsache nicht - aber die Mitteilung ja, wenn sie es ihm noch nicht gesagt haben.«
    Er schloß das Auto auf, stieg ein, öffnete von innen die Tür für Marianne, legte den Arm um ihre Schultern, als sie neben ihm saß.
    »Nun hör doch mal zu«, sagte er, »es ist ja ganz einfach; die Strecke ist genau viereinhalb Kilometer lang; dreihundert Meter brauche ich, um auf hundertzwanzig zu kommen - wieder dreihundert zum Bremsen, und das ist sehr großzügig gerechnet; es bleiben also knapp vier Kilometer, für die ich genau zwei Minuten brauche; du mußt nur auf die Uhr sehen, mir sagen, wann die zwei Minuten um sind und ich anfangen muß zu bremsen; verstehst du denn nicht? Ich möchte ja nur einmal rauskriegen, was in der Karre wirklich drin steckt.«
    »Es ist ein schreckliches Spiel«, sagte sie.
    »Wenn ich wirklich auf hundertachtzig kommen könnte, brauchte ich nur zwanzig Sekunden - aber dann würde auch der Bremsweg länger.«
    »Bitte hör auf, bitte.«
    »Hast du Angst?«
    -212-

    »Ja.«
    »Gut, dann laß ich's. Darf ich dann wenigstens mal mit achtzig draufzufahren?«
    »Meinetwegen, wenn dir soviel daran liegt.«
    »Du brauchst dabei gar nicht auf die Uhr zu sehen, ich kann auf Sicht fahren und den Bremsweg nachher abfahren, verstehst du, ich möchte einfach mal wissen, ob sie uns mit den Tachometern nicht beschummeln.«
    Er schaltete, fuhr langsam durch die schmalen Gassen des Ausflugsortes, schnell am Zaun des Golfplatzes vorbei und hielt an der Auffahrt zur Autobahn.
    »Hör«, sagte er, »mit achtzig brauch ich genau drei Minuten, es ist wirklich ganz ungefährlich, wenn du Angst hast, steig hier aus und warte auf mich.«
    »Nein, allein laß ich dich auf keinen Fall fahren.«
    »Es ist ja das letzte Mal«, sagte er, »vielleicht werde ich schon morgen nicht mehr hier sein, und anderswo gibt es solche Gelegenheiten nicht.«
    »Aber auf einer freien Strecke könntest du es doch viel besser ausprobieren.«
    »Nein, es ist ja gerade die Notwendigkeit, vor dem Schild halten zu müssen, die mich reizt.« Er küßte sie auf die Wange.
    »Weißt du, was ich tun werde?«
    »Nein.«
    »Ich werde vierzig fahren.«
    Sie lächelte, als er losfuhr, blickte aber auf den Tachometer.
    »Paß auf«, sagte er, als sie den Kilometerstein 5 passierten,
    »guck jetzt mal auf die Uhr und miß die Zeit ab, die wir bis zum Kilometerstein 9 brauchen; ich fahre genau vierzig.«
    Weit vorn, wie Riegel vor die riesigen Tore geschoben, sah sie die Schilder, erst nur wie Hürden, sie wurden größer,
    -213-

    wuchsen mit erdrückender Stetigkeit: was wie eine schwarze Spinne ausgesehen hatte, klärte sich zu gekreuztem Gebein, was wie ein merkwürdiger Knopf ausgesehen hatte, wurde zum Totenschädel, stieg, wie das Wort stieg, an sie heranflog, fast schon die Kühlerhaube zu berühren schien: das O von TOD wie ein offener Mund, der einen drohenden Laut zu bilden schien; die zitternde Tachometernadel zwischen 90 und 100, rollerfahrende Kinder, Männer und Frauen, deren Gesichter nichts Feierabendliches mehr hatten, flogen vorüber, mit warnend erhobenen Armen, schrillen Stimmen wirkten sie wie dunkle Todesvögel. »Du«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher