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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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sie leise, »bist du überhaupt noch da?« »Natürlich«, sagte er lächelnd, »und ich weiß genau, wo ich bin«, er blickte starr auf das O von TOD: »Reg dich nicht auf.«
    Kurz vor Feierabend holte der Vorarbeiter der Abbruchfirma ihn ins Refektorium, wo ein Schuttberg in der Ecke auf ein Band geschaufelt, vom Band auf den Lastwagen transportiert wurde; Nässe, die sich im Schutt gesammelt, aus Steinresten, Mörtelresten und undefinierbarem Dreck klebrige Klumpen gebildet hatte; Nässe wurde an den Wänden, je kleiner der Schuttberg wurde, erst in dunklem, dann in hellem Ausschlag sichtbar; hinter dem Ausschlag rote, blaue und goldene Töne, Spuren von Wandmalereien, die der Vorarbeiter für kostbar hielt, eine Ab endmahlsszene, vom Ausschlag überwuchert: das Gold des Kelchs, das Weiß der Hostie, Christi Gesicht, hellhäutig mit dunklem Bart, Sankt Johannes' braunes Haar und:
    ›Hier, sehen Sie doch Herr Fähmel, hier das dunkle Leder von Judas' Geldbeutel; vorsichtig wischte der Vorarbeiter mit einem trockenen Lappen den weißen Ausschlag weg, legte ehrfürchtig das Bild frei: Brokattischtuch, zwölf Jünger; Füße wurden sichtbar, Tischtuchränder, der fliesenbelegte Boden des Abendmahlsaales; lächelnd dem Vorarbeiter die Hand auf die Schulter gelegt: ›Gut, daß Sie mich gerufen haben; natürlich muß das Fresko erhalten bleiben; lassen Sie's ganz freischaufeln
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    und austrocknen, bevor etwas damit geschieht; er wollte gehen, schon stand der Tee auf dem Tisch, Brot, Butter und Heringe, Freitagabend, am Fisch erkennbar, schon war Marianne von Stehlingers Grotte aus unterwegs, ihn zum Spaziergang abzuholen; da sah er, kurz bevor er sich endgültig abwenden wollte, unten in die Ecke des Bildes geschrieben XYZX, und er hatte doch hunderte Male, wenn er ihm bei den
    Mathematikaufgaben half, Vaters X, sein Y, sein Z gesehen, sah es hier wieder, oberhalb des Loches, das in die Kellerdecke gesprengt war, zwischen Sankt Johannes und Sankt Peters Fuß; die Säule des Refektoriums auseinandergerissen, das tragende Gewölbe zerstört; nur der Mauerrest mit dem Abendmahlsbild; XYZX. ›Was Besonderes los, Herr Fähmel‹, fragte der Vorarbeiter, legte ihm die Hand auf die Schulter, ›Sie sind ja ganz blaß geworden - oder ist es nur die Liebe?‹ ›Nur die Liebe‹, sagte er, ›nur die Liebe, kein Grund zur Aufregung, und vielen Dank, daß Sie mich gerufen haben.‹ Ihm schmeckte der Tee nicht, nicht das Brot, die Butter und die Heringe; Freitag, am Fisch erkennbar; nicht einmal die Zigarette schmeckte ihm; er ging durch alle Gebäude und um die Abteikirche, ins Pilgerhaus, suchte überall dort, wo statisch gewichtige Punkte gewesen sein mußten, fand nur noch eins, ein einziges kleines X
    im Keller des Gästehauses, so unverkennbar seine Handschrift, wie sein Gesicht, sein Gang unverkennbar waren, sein Lächeln und die strenge Liebenswürdigkeit seiner Bewegungen, wenn er Wein einschenkte, Brot über den Tisch reichte; sein kleines X; Dr. Robert Fähmel: Büro für statische Berechnungen.
    »Bitte, bitte«, sagte Marianne, »komm doch zu dir.«
    »Ich bin bei mir«, sagte er, ließ den Gashebel los, setzte den linken Fuß auf die Kupplung, den rechten auf die Bremse, drückte; knirschend, hin und her rutschend, schob sich das Auto aufs große O von TOD zu, wirbelte Staub auf, die Bremsen schrieen, aufgeregte Spaziergänger kamen mit fuchtelnd erhobenen Armen, ein müder Nachtwächter mit dem Kaffeetopf
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    in der Hand wurde sichtbar, zwischen TOD und gekreuztem Schultergebein.
    »O Gott«, sagte Marianne, »warum mußt du mich so
    erschrecken.«
    »Verzeih«, sagte er leise, »bitte, verzeih, es ist einfach mit mir durchgegangen.« Er wendete rasch, fuhr los, bevor die Spaziergänger sich ums Auto sammeln konnten, vier Kilometer, mit der linken Hand steuernd, die rechte um Marianne gelegt, in friedlichem Tempo am Go lfplatz vorbei, wo drahtige Frauen neben drahtigen Männern dem sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten Loch zustrebten.
    »Verzeih«, sagte er, »ich tu's wirklich nicht wieder«, schwenkte von der Autobahn ab, fuhr zwischen lieblichen Feldern, an stillen Waldrändern entlang.
    XYZ, es waren dieselben Zeichen, die er auf den präzisen, doppeltpostkartengroßen Fotokopien entdeckte, mit denen sein Vater abends wie mit Spielkarten spielte; Haus für einen Verleger am Waldrand - XxX; Erweiterungsbau für die
    ›Societas, die Gemeinnützigste der Gemeinnützigen‹ - YxY; Haus für einen

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