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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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sie.
    »Vielleicht«, sagte er, »oder besser: verschweige n.«
    An ihrem Ohr vorbei konnte er über die Brüstung der Cafehausterrasse mitten auf den Fluß sehen, und er beneidete den Arbeiter, der fast sechzig Meter hoch oben am Pylon in einem Korb hing und mit dem Schweißapparat blaue Blitze in die Luft zeichnete; Sirenen tuteten, ein Eisverkäufer ging unterhalb des Cafes an der Böschung entlang, rief ›Eis, Eis‹, schwieg dann und spachtelte Eis in bröcklige Waffeln; hinten die graue Silhouette von Sankt Severin.
    »Es muß etwas sehr Schlimmes sein«, sagte Marianne.
    -208-

    »Ja«, sagte er, »es ist ziemlich schlimm - vielleicht auch nicht; das ist noch nicht entschieden.«
    »Innen oder außen?« fragte sie.
    »Innen«, sagte er. »Jedenfalls hab ich heute mittag Klubringer gekündigt; dreh dich nicht um, sonst sag ich kein Wort mehr.«
    Er nahm die Hände von ihren Schultern, legte sie um ihren Kopf und hielt ihn in Richtung zur Brücke hin fest.
    »Was wird dein Großvater dazu sagen, daß du gekündigt hast? Er war so stolz auf dich, jedes lobende Wort, das Klubringer über dich sagte, ging ihm wie Honig ein; und er hängt doch so an der Abtei; du darfst es ihm heute noch nicht sagen.«
    »Sie werden es ihm schon gesagt haben, bevor er uns trifft; du weißt doch, daß er mit Vater nach Sankt Anton kommt; Nachmittagskaffee vor der großen Geburtstagsfeier.«
    »Ja«, sagte sie.
    »Es tut mir leid um Großvater; du weißt, daß ich ihn mag; er kommt bestimmt heute nachmittag raus, wenn er Großmutter besucht hat; jedenfalls: ich kann vorläufig keine Steine mehr sehen und keinen Mörtel mehr riechen.«
    »Vorläufig nur?«
    »Ja.«
    »Und was wird dein Vater sagen?«
    »Oh«, sagte er rasch, »ihm wird es nur um Großvaters willen leid tun; für die schöpferische Seite der Architektur hat er sich nie interessiert, nur für die Formeln; halt, dreh dich nicht um.«
    »Es hat also mit deinem Vater zu tun, ich spür's doch; ich bin ja so gespannt drauf, ihn endlich zu sehen; am Telefon mit ihm gesprochen hab ich schon ein paar Mal; ich glaube, daß er mir gefallen wird.«
    »Er wird dir gefallen. Spätestens heute abend wirst du ihn sehen.«
    -209-

    »Muß ich mit zur Geburtstagsfeier?«
    »Unbedingt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie Großvater sich freuen wird - und er hat dich ja ausdrücklich eingeladen.«
    Sie versuchte ihren Kopf zu befreien, aber er lachte, hielt sie fest und sagte: »Laß doch, so kann man viel besser miteinander sprechen.«
    »Und lügen.«
    »Verschweigen«, sagte er.
    »Liebst du deinen Vater?«
    »Ja. Besonders seitdem ich weiß, wie jung er noch ist.«
    »Du hast nicht gewußt, wie alt er ist?«
    »Nein. Ich habe ihn immer für fünfzig, fünfundfünfzig gehalten - komisch, nicht wahr, ich habe mich nie für sein genaues Alter interessiert, und ich war richtig erschrocken, als ich vorgestern meine Geburtsurkunde bekam und erfuhr, daß Vater erst dreiundvierzig ist; jung, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte sie, »und du bist zweiundzwanzig.«
    »Ja, und ich habe bis zu meinem zweiten Lebensjahr nicht Fähmel geheißen, sondern Schrella; merkwürdiger Name, wie?«
    »Bist du deshalb böse auf ihn?«
    »Ich bin nicht böse auf ihn.«
    »Was hat er denn getan, daß du plötzlich die Lust am Bauen verloren hast?«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    »Schön - aber warum hat er dich nie in Sankt Anton besucht?«
    »Er macht sich offenbar nichts aus Baustellen, und vielleicht sind sie als Kinder zu oft in Sankt Anton gewesen, verstehst du, Sonntagspaziergänge, die man mit den Eltern gemacht hat - die wiederholt man als Erwachsener nur, wenn man unbedingt die Grundschule der Melancholie noch einmal durchmachen will.«
    -210-

    »Hast du denn je mit deinen Eltern Sonntagspaziergänge gemacht?«
    »Nicht viele, meistens mit meiner Mutter und den Großeltern, aber wenn mein Vater in Urlaub kam, ging er mit spazieren.«
    »Nach Sankt Anton.«
    »Auch dahin.«
    »Nun, ich verstehe nicht, daß er dich nie besucht hat.«
    »Er mag Baustellen einfach nicht; vielleicht ist er ein bißchen komisch; manchmal, wenn ich überraschend nach Hause komme, sitzt er im Wohnzimmer am Schreibtisch und kritzelt Formeln auf die Ränder fotokopierter Zeichnungen - er hat eine große Sammlung davon - , aber ich glaube, du wirst ihn mögen.«
    »Du hast mir nie ein Bild von ihm gezeigt.«
    »Ich habe kein neues; er hat so etwas rührend Altmodisches, in seinen Kleidern und seinem Benehmen;

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