Bille und Zottel 02 - Zwei unzertrennliche Freunde
Dann hatte er also endlich wieder Zeit für sie. Er nahm ihre Ausbildung ernst, er wollte stolz sein auf seine Schülerin Sybille Abromeit !
Bille war von Anfang an stolz darauf gewesen, daß Herr Tiedjen ihren Reitunterricht übernommen hatte. Aber daß es viele gab, die sich sehnsüchtig wünschten, von dem großen Turnierreiter unterrichtet zu werden, ohne jemals die geringste Chance zu haben, das sollte ihr heute zum erstenmal bewußt werden.
Als sie nachmittags nach Peershof hinüberfuhr — sie hatte Zottel vor die kleine Kutsche gespannt, um Bettina zu einer Ausfahrt einzuladen —, hörte sie plötzlich den vertrauten Dreiertakt galoppierender Hufe hinter sich. Daniel und Simon ritten heran und flankierten sie.
„Nanu — heute nicht hoch zu Roß ?“ rief Simon schon von weitem.
„Was das betrifft, hab ich schon genug getan, mir tun alle
Knochen weh“, antwortete Bille lachend. „Hab meine erste Springstunde bei Herrn Tiedjen gehabt.“
„Bei wem, bitte?“ fragte Daniel.
„Bei Herrn Tiedjen .“
„Hat er dir im Vorübergehen ein paar Tricks verraten, wie?“
„Was heißt, im Vorübergehen?“
„Na, du willst doch nicht behaupten, daß er dich unterrichtet. Herr Tiedjen nimmt keine Schüler an, das weiß doch jeder!" belehrte sie Simon.
„Ist das wahr? Na, vielleicht nimmt er sonst keine an, aber mich unterrichtet er seit fünf Monaten. Morgen um vier habe ich meine nächste Springstunde.“
Daniel pfiff durch die Zähne. Der Blick, den er Bille zuwarf, sprach Bände. Plötzlich wurde sie in seinen Augen zu einem höheren Wesen. Bille notierte es mit Genugtuung.
Bettina allerdings war es herzlich gleichgültig, ob und bei wem Bille ihren ersten Springunterricht gehabt hatte, und Billes Einladung zu einer Spazierfahrt nahm sie entgegen, ohne eine Spur von Interesse oder Freude zu verraten. Immerhin glaubte Bille, so etwas wie Erleichterung in Bettinas Gesicht zu entdecken, als sie die Einfahrt verließen und durch die Buchenallee hinaus in die Felder fuhren.
Bille erklärte Bettina geduldig alles, was sie am Weg sahen, wem die Felder und Weiden gehörten, wann und wo geerntet worden war, die Namen der Pferde, die auf den Koppeln waren, und die umliegenden Orte.
„Dort drüben wohnen wir — in Wedenbruck . Siehst du das Strohdach, das hinter der großen Scheune hervorschaut? Das ist unser Haus. Meine Mutter hatte dort ein kleines Lebensmittelgeschäft. Es ist jetzt geschlossen, denn meine Mutter ist Leiterin des großen Spar-Marktes in Leesten geworden. Das ist der Ort fünf Kilometer hinter Wedenbruck , du kannst ihn von hier aus nicht sehen. Der kleine Laden lohnte sich nicht mehr — zuviel Arbeit und zuwenig Verdienst.“
Bettina schaute gehorsam in die angegebene Richtung. Bille hätte viel darum gegeben, ihre Gedanken lesen zu können.
„Leider werden wir nicht mehr lange dort wohnen. Schade, es war so gemütlich in der alten Kate, auch wenn sie ein bißchen windschief und brüchig war. In die Bibliothek von Henrichs ginge fast unsere ganze Wohnung hinein.“
„Warum müßt ihr dort ausziehen?“
Nicht möglich, Bettina hatte den Mund aufgemacht!
„Ja, weißt du — meine Mutter wird wieder heiraten, sie ist seit ein paar Jahren verwitwet. Und Onkel Paul, ihr zukünftiger Mann, läßt sein Haus ausbauen, damit wir alle darin Platz haben. Dann bekomme ich ein neues, größeres Zimmer, darauf freue ich mich natürlich, auch wenn’s mir um meine alte Bude-leid tut.“
„Aber du bleibst doch in Wedenbruck ?“
Hatte in Bettinas Stimme wirklich eine Spur von Sorge mitgeklungen?
„Na klar! Mich kriegt hier niemand weg!“
„Das habe ich auch mal gesagt“, Bettinas Gesicht verhärtete sich, „als ob jemand danach fragt...“
Bille schluckte. Bei dieser Bettina konnte man machen, was man wollte, immer trat man ins Fettnäpfchen.
„Da hast du recht“, sagte sie beschämt. „Ich habe unverschämtes Glück gehabt. Um ein Haar wären wir nämlich diesen Herbst in der Großstadt gelandet, dann wäre mir heute genauso zumute wie dir. Komm, nimm mal die Zügel!“
Bettina übernahm widerspruchslos Zügel und Peitsche, und Bille zeigte ihr, wie sie sie halten mußte. Sie durchfuhren ein Waldstück, dann gabelte sich der Weg.
„Jetzt kannst du’s dir aussuchen: Möchtest du nach Groß- Willmsdorf hinüber, oder wollen wir an die Ostsee fahren? An die See ist es fast doppelt so weit. . Und ich möchte dir so gern meine Lieblinge in Groß- Willmsdorf zeigen, wollte
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