Bille und Zottel 06 - Gefahr auf der Pferdekoppel
um.
„Fahr zu!“ flüsterte Thorsten gepreßt.
Warum war er plötzlich so klein geworden? Inge überragte ihren Mann, der sonst zwei Köpfe größer war als sie, jetzt selbst um einen Kopf!
Der Pastor trat noch einmal zum Brautpaar heran, um sich zu verabschieden. Thorsten versuchte verzweifelt, durch übermäßiges Strecken seines Halses an Körpergröße zu gewinnen. Inge schaute irritiert auf ihren geschrumpften Ehemann hinunter, der mit krampfhaft angewinkeltem Arm versuchte, die dargebotene Rechte des Pastors zu ergreifen. Zum Glück schien der Pastor nichts zu bemerken.
„Nochmals: viel Glück und Gottes Segen!“ sagte er.
„Nun fahr doch schon!“ stöhnte Thorsten, und Bille hieb den beiden Ponys eins mit der Peitsche über, daß sie einen Blitzstart im Galopp machten.
„Was ist denn passiert?“ fragte Inge beunruhigt, als sie außer Sichtweite waren.
„Ich bin eingebrochen!“ ächzte Thorsten. „Ich sitze bis zur Hüfte festgeklemmt zwischen den Sprungfedern des Sitzes. Und wenn du’s genau wissen willst, es tut idiotisch weh!“
Bille erschrak. An alles hatten sie gedacht, nur daran nicht, daß die kleine Kutsche das Gewicht eines Mannes wie Thorsten nicht aushalten könnte! Eine schöne Bescherung!
Vor dem Strohdachhaus warteten bereits die Jungen, um das Gespann in Empfang zu nehmen.
„SOS!“ rief Bille schon von weitem. „Es ist etwas Schreckliches passiert!“
Sie brauchte nicht viel zu erklären, die Jungen übersahen schnell das Ausmaß der Katastrophe und begannen, den jammernden Bräutigam aus der Umklammerung des zerbrochenen Sitzes zu befreien. Soweit es den Bräutigam betraf, gelang das auch. Schwieriger war der Fall, was den nagelneuen schwarzen Anzug betraf, zumindest die Hose. Als Thorsten endlich wieder aufrecht auf sicherem Boden stand, war es klar: der Hosenboden war in den Sprungfedern hängengeblieben. In der Hochzeitshose klaffte ein pfannkuchengroßes Loch.
„Schnell, ins Haus, wir müssen das irgendwie in Ordnung bringen, ehe die Gäste kommen!“ drängte Inge. „Kriegt ihr das rausgerissene Stück aus dem Polster?“
„Mein Hintern“, stöhnte Thorsten, „ich werde beim Essen stehen müssen - oder auf dem Bauch liegen! Was mach ich bloß?“
„Wir werden den Schaden gleich prüfen“, ordnete Inge energisch an. „Ihr andern kümmert euch um die Gäste. In der Werkstatt ist alles aufgebaut, das kalte Büfett und die Getränke. Gebt ihnen erst mal was zu trinken. Und dann brauchen wir dringend Nadel und Faden und zwei Helfer zum Nähen!“
Es wurde trotz allem noch ein gelungenes Hochzeitsfest, und kein Mensch bemerkte, daß der Hosenboden des Bräutigams nur mit groben Stichen am übrigen Stoff der Hose befestigt war.
Thorstens Schmerzen vergingen nach dem zweiten Glas Wein sehr schnell. Und nach dem dritten konnte er über sein Erlebnis nur noch lachen und gab es zum Vergnügen der Hochzeitsgesellschaft in blumigen Worten zum besten.
Die zum Festsaal verwandelte Werkstatt, strahlend im Blumenschmuck und Kerzenlicht, hallte wider von Hochrufen, Musik und Gesang. Im ehemaligen Wohnzimmer wurde getanzt. Das kalte Büfett fühlte sich dank Mutschs Vorsorge wie von Zauberhänden immer wieder neu, und Onkel Paul schleppte unermüdlich frische Getränke herbei.
„Wie hübsch es hier geworden ist“, sagte Mutsch leise zu Bille. „Nie hätte ich gedacht, daß das alte Haus noch einmal so strahlen könnte. Wenn Vati das noch sehen könnte!“ Ihre Stimme zitterte.
Bille nahm ihre Mutter in die Arme.
„Ich bin sicher, er sieht es“, sagte sie. „Kein Grund, sentimental zu werden, sicher lacht Vati im Himmel jetzt noch Tränen über Thorstens geflickten Hosenboden. Komm, stoßen wir an. Trinken wir auf das Glück in unserem alten Haus - auf das alte und das neue Glück - deines — Inges - und auch meins.“
Die Lederjackenbande
Auf die verregneten Wochen folgte plötzlich Frühlingswetter. Der Himmel schien übersehen zu haben, daß im Kalender der Monat November stand. Die Freunde nutzten die milden sonnigen Tage für weite Ausritte über das herbstliche Land.
Pünktchen hatte sich gut erholt. Ein wenig schreckhaft war sie geblieben, aber unter Simons einfühlsamer Pflege würde sich auch das sicher bald legen. Simon verbrachte jede freie Minute bei seiner Stute, verwöhnte sie mit Leckerbissen und machte sie behutsam wieder mit ihrer Umgebung vertraut. Die Koppel, auf der das Unglück geschehen war, mied er, er ließ die Stute nur noch dort
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