Bille und Zottel 06 - Gefahr auf der Pferdekoppel
weiden, wo er sie unter Beobachtung hatte oder zumindest hören konnte, wenn etwas Ungewöhnliches geschah.
Niemandem war es bisher gelungen, hinter das Geheimnis der Bande zu kommen, die auf ihren Motorrädern mal hier, mal dort auftauchte wie ein plötzliches Gewitter. Unheil stiftete und verschwunden war, ehe sie jemand gesehen hatte.
Für die Bande schien es so eine Art Sport zu sein, die Betroffenen dachten anders darüber. Und die Polizei kam immer zu spät. Was konnten sie auch mit so unvollkommenen Aussagen anfangen, wie: Es waren sechs oder sieben, schwarzes Lederzeug hatten sie an und Helme auf dem Kopf und vor den Gesichtern schwarze Tücher. Die Nummernschilder? Nein, die hatte man nicht erkennen können. Motorradtypen? Keine Ahnung. Also blieb das Geheimnis um die Bande gewahrt. Und wenn es eine Weile keinen Zwischenfall gegeben hatte, waren die Leute schnell bereit, die ganze Angelegenheit zu vergessen.
An diesem Wochenende mußte Bille allein ausreiten. Henrichs waren mit den Kindern zum Familientag gefahren, der hundert Kilometer westlich auf dem Gut eines Onkels stattfand. Bille hatte sich bereit erklärt, Asterix, Pünktchen, Sternchen und Bongo zu versorgen. Asterix und Sternchen ritt sie je eine Stunde in der Bahn, Pünktchen und Bongo bewegte sie an der Longe.
Am Nachmittag kam dann Zottel endlich auf seine Kosten. Und weil Bille in letzter Zeit so wenig Zeit für ihn gehabt hatte, entschloß sie sich zu einem größeren Ausflug. Sie ritt zur Ostsee hinüber.
Zottel liebte es, ebenso wie seine Herrin, am Strand entlangzugaloppieren, daß die heranrollenden Wellen ihm um die Hufe spülten und die salzigen Tropfen hoch aufsprangen. Hier wehte immer ein kräftiger Wind, und die Luft schien zu prickeln vor Frische. Möwen kreischten um ihre Köpfe, und es roch nach Seetang und Teer. Am Horizont zogen zwei Fischkutter vorbei, ein einsamer Spaziergänger mit seinem kleinen Sohn suchte nach Muscheln und Bernstein.
Bille steuerte auf eine windgeschützte Mulde zu, ließ sich aus dem Sattel gleiten und streckte sich im Sand aus. Sie teilte sich mit Zottel die mitgebrachten Apfel und das Butterbrot und ließ sich die Herbstsonne auf die Nase scheinen, bis Zottel sie energisch anstupste und an den Heimweg erinnerte.
Der Mann und der kleine Junge waren verschwunden. Die Sonne sank schnell, und es wurde kühl. Bille legte einen scharfen Trab ein und wählte eine Abkürzung quer durch die Felder. Zottel stampfte schwer durch den frisch gepflügten Acker und war froh, als er wieder den festgestampften Boden des Feldwegs unter sich hatte.
Bille war in den Anblick des roten Sonnenballs versunken, als sie den Lärm hörte. Lärm von aufgeregt surrenden Motoren und Schreie. Sie legte die Hand über die Augen, um gegen das blendende lacht der Abendsonne etwas erkennen zu können. Zuerst sah sie nur eine Reihe großer und kleiner schwarzer Punkte, die sich wild im Kreis bewegten. Aber dann wurde das Bild klarer: eine Herde Jungvieh auf einer Koppel, die von einer Gruppe Motorradfahrer herumgejagt wurde. Die Lederjackenbande!
Bille empfand keine Spur von Furcht. Nur eine maßlose Wut, die in ihr hochkroch wie glühende Lava. Sie dachte nicht daran, daß sie sich selbst in Gefahr brachte - sich und auch Zottel - sie war nur besessen von dem Gedanken, dem grausamen Spiel ein Ende zu bereiten. Sie drückte Zottel die Fersen in die Flanken und trieb ihn in einen scharfen Galopp direkt auf die Bande zu.
„Seid ihr verrückt geworden!“ schrie sie schon von weitem. „Hört sofort mit dem Blödsinn auf! Wollt ihr die Tiere umbringen? Hört auf, sage ich!“
Es dauerte eine ganze Weile bei dem Lärm, den die Motorräder verursachten, bis die Jungen sie bemerkten. Sie stutzten einen Augenblick und starrten Bille fassungslos an. Die Jungrinder nahmen die Gelegenheit wahr, in die entfernteste Ecke der Koppel davonzugaloppieren.
„Ihr habt doch wohl nicht alle Tassen im Schrank!“ rief Bille heftig. „Ist es euch noch nicht genug, daß ihr unsere Pferde fast umgebracht habt? Wißt ihr, daß wir ein wertvolles Fohlen verloren haben, wegen eurer blöden Wildwestspiele? Wißt ihr, was der Tierarzt gekostet hat? Aber so weit denkt ihr mit euren Spatzengehirnen ja nicht . . .“
Einer der Jungen, es schien der Anführer zu sein, löste sich aus der Gruppe und fuhr langsam auf Bille zu. Er hatte - wie die anderen - einen schwarzen Schal um Mund und Nase gebunden, nur die wäßrig blauen Augen waren unter dem Helm zu
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