Bille und Zottel 06 - Gefahr auf der Pferdekoppel
und wartete darauf, der Braut Hochzeitsfrisur und Schleier zu stecken. Mutsch rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung. Sie hatte zwar gestern alles bis ins kleinste vorbereitet, aber in der vor Aufregung schlaflosen Nacht waren ihr hundert weitere Kleinigkeiten eingefallen, die man noch tun konnte. Auf den Nachbarhöfen und im Krug hatte man die Gäste untergebracht, die von weit her angereist kamen. Man hatte sie zwar gebeten, nicht vor zehn Uhr zum allgemeinen Abmarsch in die Kirche zu erscheinen, aber alle paar Minuten klingelte es an der Haustür. Der eine hatte seine Manschettenknöpfe vergessen, der nächste seinen Saum herausgerissen, der dritte fragte, ob noch was zu helfen sei und spähte neugierig nach der Braut aus, der vierte mußte ausgerechnet jetzt sein Geschenk abgeben, obgleich doch dafür später noch Zeit gewesen wäre.
Onkel Paul hatte bittere Minuten mit seinem Spiegelbild auszustehen, als ihm klar wurde, daß sein Hochzeitsanzug ihm seit dem letzten Winter viel zu eng geworden war, da er nun täglich Mutschs gute Küche genoß. Er drückte, zerrte und zog, aber der widerspenstige Hosenbund wollte sich nicht schließen lassen.
Bille hörte Onkel Pauls verzweifeltes Fluchen und kam ihm zu Hilfe. Ein w-einroter Schal von Mutsch wurde dazu bestimmt, die Blöße zu bedecken. Die Farbe paßte gut zu dem dunkelblauen Stoff des Anzugs und gab Onkel Paul etwas Verwegenes. Eine passende Krawatte fand sich auch, und Onkel Pauls Nerven beruhigten sich wieder.
Nicht so Mutschs.
„Wo bleibst du denn, Bille! Bist du immer noch nicht fertig? Ja, muß man denn alles allein machen! Hier, füllt die Salzstangen in die Schälchen. Nein, in die anderen - da kommen die Nüsse rein. Die Portweingläser, wo sind die Portweingläser? Herrgott noch mal, Kind, nun zieh dich doch erst mal an! Die Blumen da müssen in die Vase. Hörst du denn nicht, es klingelt, mach doch mal auf, ich muß deiner Schwester beim Anziehen helfen - Telegramme da drüben hin, auf das Tablett!“
„Da ist Tante Grete. Mutsch, ob du ihr eine Kette zu ihrem Kleid leihen könntest, sie hat ihre vergessen.“
„Grete! Komm mit rauf, Liebe, ich werde mich gleich darum kümmern! Papierservietten, wir müssen noch Papierservietten bereitlegen, Bille! Und vergiß die Blumen nicht - schräg anschneiden, sonst halten sie sich nicht!“
„Mach ich, widme du dich Tante Grete. Und mach dich hübsch, ich kümmere mich schon um die anderen Sachen.“ Bille holte tief Luft und wiederholte bei sich alles, was Mutsch ihr aufgetragen hatte.
Ein Glück, daß Karlchen sich bereit erklärt hatte, Zottel und Moischele anzuschirren und mit Bettinas Hilfe den Blumenschmuck an Wagen und Pferden anzubringen.
Inge saß blaß und zitternd in ihrem Zimmer und ließ sich schmücken. Sie sah süß aus in dem altmodischen Hochzeitskleid. Als wäre sie aus einem alten Gemälde gestiegen, so einem, wie sie in berühmten Schlössern hängen. Und die Friseuse verstand sich auf ihre Kunst. Zum Glück schien wenigstens sie sich nicht von der allgemeinen Aufregung anstecken zu lassen.
Thorsten kam eine halbe Stunde zu früh. Auch er war ziemlich blaß um die Nase, am rechten Ohrläppchen klebte noch ein Rest von Seifenschaum, und in der Hand hielt er den Brautstrauß. Bille war gerade dabei gewesen, die Papierservietten zu falten und auf einem Tablett zu arrangieren, als er klingelte. Kurz entschlossen betupfte sie sein Gesicht mit der Serviette, die sie in der Hand hielt, und befreite es von Seifenschaum und ein paar Schweißtropfen.
„Anstrengend, das Heiraten, wie, Schwager?“ fragte sie übermütig und zog ihn ins Haus. „Du bist zu früh dran. Möchtest du was trinken?“
Thorsten ließ den Brautstrauß von einer Hand in die andere wandern und lächelte gequält.
„Vielleicht besser nicht“, meinte er. „Niedliches Kleid hast du an.“
„Oh, das ist mein Nachthemd, aber ich werde mich gleich herausputzen. Wir haben ja noch Zeit.“
„Ja — so - ich fand es auch ein bißchen zu durchsichtig für die Kirche. Dann laß dich nicht stören . . .“
Bille stellte mit einem mitleidigen Blick die Portweinflasche neben das zukünftige Familienmitglied und verließ das Zimmer. Jetzt wurde es wirklich Zeit. Aber sie brauchte nicht lange. Das neue Kleid mit dem bodenlangen Rock hing schon an der Schranktür, der blondgelockte Schopf wurde mit zwei Bürsten heftig bearbeitet.
Ganz fremd kam sie sich vor - einmal nicht in Reithosen und Stiefeln. Ob
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