Bille und Zottel 06 - Gefahr auf der Pferdekoppel
die anderen sie wiedererkennen würden? Noch ein Blick auf die Fingernägel, in denen sich immer Reste von Stalldreck verkrochen. So, fertig.
Unten klingelte es bereits wieder Sturm, die ersten Gäste trafen ein. Bille rannte die Treppe hinunter.
Jetzt kam das Schlimmste. All die blödsinnigen Redensarten: „Mein Gott. Kind, wie bist du gewachsen!“
„Nein, schon eine richtige junge Dame, unsere Bille!“
„Kaum zu glauben, wie groß du schon bist - es war doch erst gestern, scheint mir, daß ich dich auf dem Schoß geschaukelt habe!“ So tönte es am laufenden Band. Bille lächelte unermüdlich, als seien ihre Gesichtsmuskeln eingefroren. Sie schenkte Portwein ein, bot Gebäck an, nahm Blumen entgegen und stellte sie in die Vase und mimte überall die wohlerzogene, große Tochter.
Zwischendurch flitzte sie zu Karlchen in den Stall, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung war. Zottel und Moischele waren blitzblank geputzt und standen bereits im Geschirr. Bettina besteckte gerade Zottels Stirnband mit Blumensträußchen.
„Wenn die Trauung vorüber ist, komme ich zu euch rausgeflitzt und übernehme die Kutsche, okay? So lange müßt ihr die beiden hinter der Kirche versteckt halten, wie wir’s besprochen haben.“
„Nun reg dich bloß nicht auf, es wird alles klappen!“ beruhigte Bettina sie. „Du kannst dich ganz auf uns verlassen.“
Drinnen drängte Onkel Paul zum Aufbruch. Die Gesellschaft machte sich auf den Weg zur Kirche. Inge und Thorsten sollten mit dem Auto folgen, wenn alle ihre Plätze eingenommen hatten. Es waren zwar nur dreihundert Meter, aber ein richtiges Brautpaar mußte vorgefahren werden.
Es scheint alles prima zu klappen, dachte Bille, als sie neben Mutsch und Onkel Paul auf der Kirchenbank saß und verstohlen über die Köpfe der vielen Besucher schaute. Eine großartige Hochzeit. Die Orgel brauste auf, und das Brautpaar erschien im Kirchenportal, geführt vom Pastor. Inge sah schön wie eine Märchenprinzessin aus, und der rothaarige Riese-Thorsten neben ihr wie Rübezahls Sohn. Jetzt waren sie vor dem Altar angekommen, der Pastor sprach still ein Gebet. Mutsch drückte Bille ein aufgeschlagenes Liederbuch in die Hand. „Lobe den Herrn . . .“intonierte die Orgel, und Gesang hallte durch die Kirche.
So feierlich, wie es begonnen hatte, ging es weiter - und plötzlich, viel zu schnell, war alles vorbei. Der Pastor beglückwünschte das Brautpaar und geleitete es vom Altar zum Ausgang. Bille drückte sich seitlich vorbei und flitzte voraus.
Bettina und Karlchen warteten schon. Sie hatten die Kutsche vorgefahren, als die Orgel zum Schlußchor aufbrauste, und Bille brauchte nur noch auf den Kutschbock zu klettern und die Zügel zu übernehmen. Sicherheitshalber blieb Karlchen neben Zottel stehen. Wenn er Musik hörte, konnte man nie wissen . . .
Und da erschien auch schon das Brautpaar in der Tür.
„Mein Gott, wie zauberhaft!“ rief Inge aus und ließ ihren frisch angetrauten Ehemann verdutzt unter der Kirchentür zurück. „Wo habt ihr denn diese entzückende Kutsche her?“
„Das ist unser Geheimnis!“ erklärte Bille und wurde rot vor Stolz. „Es ist nämlich unser Hochzeitsgeschenk für euch. Meines - und das meiner Freunde. Wir haben sie eigenhändig für euch bemalt und hergerichtet. Sie gehört euch.“
„Wie lieb von euch! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Einfach toll ist das . . .“ Inge hatte Tränen in den Augen, die Aufregungen und die Freude dieses Tages schäumten in ihr über.
Inzwischen war auch Thorsten herangekommen und bewunderte und lobte das hübsche Gefährt.
„Alle Achtung, kleine Schwägerin, du imponierst mir mächtig! An ein so schönes Geschenk hätte ich im Traum nicht gedacht!“
Inge wollte einsteigen, aber daran war noch nicht zu denken. Jetzt drängten erst die Gratulanten heran, die Fotografen unter den Gästen knipsten um die Wette, Blumen wurden überreicht. Küßchen in die Luft geworfen. Zottel und Moischele scharrten ungeduldig mit den Hufen.
Endlich war es soweit. Inge nahm vorsichtig auf dem Sitz der Kutsche Platz, und Bettina verteilte die Falten des weißen Kleides sorgfältig, damit nichts mit den üppig frisch geschmierten Rädern in Berührung kam. Inge mußte in ein Dutzend Kameras lächeln, alles begeisterte sich an dem schönen Bild.
Dann durfte auch Thorsten einsteigen. Erleichtert ließ er sich neben seiner frisch Angetrauten in den Sitz fallen. Krrraks! machte es. Bille sah sich erschrocken
Weitere Kostenlose Bücher