Bille und Zottel 10 - Im Hauptfach Reiten
Was unten in der Reitbahn vor sich ging, bemerkte sie vor Erschöpfung gar nicht.
„Menschenskind, was für ein Rummel!“ stöhnte sie. „Zirkus ist nichts dagegen!“
„Das kannst du wohl sagen!“ meinte Bille lachend und applaudierte Mini heftig. „Die zwei wichtigsten Zirkusnummern haben wir jedenfalls: Florian als Clown und Mini-Jeannie als Akrobatin. Und wenn die Schule morgen anfängt, dann...“
„... dann schlägt die Stunde der Raubtierbändiger“, vollendete Bettina den Satz.
Ignaz der Schreckliche
Bettina stand am offenen Fenster ihres neuen Klassenzimmers, drehte gedankenverloren eine ihrer dunklen Locken wieder und wieder um den Zeigefinger und betrachtete prüfend die schwatzende und kichernde Schar ihrer neuen Klassenkameraden. Achtzehn Internatsschüler waren es, sieben Jungen und elf Mädchen, dazu kamen vier Externe. Außer ihr selbst und Bille hatten noch zwei ihrer ehemaligen Mitschüler von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, in Groß-Willmsdorf zur Schule zu gehen, um von dem lästig langen Schulweg in die Kreisstadt befreit zu sein. Vielleicht glaubten sie auch, hier im Internat würde es weniger streng zugehen.
Bille, die neben Bettina am Fensterbrett lehnte und in den Park hinaussah, wandte sich um.
„Weißt du eigentlich, daß dieses Zimmer zur Zeit von Daddys Großmutter das Damenzimmer genannt wurde? Hier empfing sie ihre zahlreichen Freundinnen zum Kaffeeklatsch. Eine von ihnen muß besonders schwatzhaft gewesen sein. Daddys Großvater konnte sie auf den Tod nicht leiden. Sie kam immer zu früh, in der Hoffnung, ihn noch bei seiner Frau anzutreffen und ihre Klatschgeschichten an ihn loszuwerden. Daddy hat erzählt, daß sein Großvater vor dieser Dame ein paarmal durchs Fenster die Flucht ergriffen hat, wenn er sie draußen auf dem Gang kommen hörte!“ Bettina kicherte.
„Er wird sich schön die Hosen zerrissen haben, wenn damals schon diese großen Feuerdornsträucher unter dem Fenster standen!“
„Nein, damals gab es hier noch Spalierobst. Pfirsich- und Birnbäume, die bis unter die Fenster der ersten Etage reichten. Und an denen man hinunterklettern konnte — heimlich natürlich — , hat Daddy erzählt. “
„Acht Uhr. Gehen wir lieber auf unsere Plätze. Ich bin riesig gespannt, wen wir als Klassenlehrer bekommen. Hoffentlich einen von den netten Körbers.“
Bettinas Wunsch erfüllte sich nicht. Es vergingen noch ein paar Minuten, dann wurde die Tür aufgerissen, und mit einem Schritt, als trüge er Soldatenstiefel, marschierte der Glatzköpfige mit dem gewaltigen Schnauzbart herein. Er stellte sich vor der Klasse auf, warf einen grimmigen Blick in die Runde, dann sah er auf seine Armbanduhr und grunzte.
„Morgen, Freunde. Wenn ich eines hasse, dann ist es Unpünktlichkeit. Na ja, lassen wir das.“
Bille sah Bettina an und rollte die Augen gen Himmel.
„Also“, der Baß des Glatzköpfigen hätte mühelos auch ein Fußballstadion gefüllt, „ich bin Ihr Klassenlehrer. Übrigens, da die meisten von Ihnen, wie ich festgestellt habe, bereits sechzehn sind, werde ich Sie siezen. Bitte nehmen Sie das als Ermunterung, sich zu benehmen wie Erwachsene. Ich bin altmodisch, liebe Disziplin und einen Unterricht, der nicht durch Privatgespräche behindert wird, und ich bin nicht der Ansicht, daß Schule in erster Linie dazu da ist, Spaß zu machen. Mein Name ist Ignaz Albert. Ignaz der Schreckliche. Es wird gut sein, wenn Sie sich das merken.“
Bille stöhnte unhörbar. Da hatten sie sich ja etwas Fabelhaftes eingebrockt! Wären sie doch bloß in ihrer alten Schule geblieben!
„Sie haben bei mir also Deutsch und Latein“, fuhr Ignaz der Schreckliche fort. „Aber beginnen wir damit, uns kennenzulernen. Sie werden jetzt bitte der Reihe nach aufstehen und sich mir und den Mitschülern mit einem Lebenslauf in Stichworten vorstellen. Dann werden Sie Ihren Namen auf einen Zettel schreiben und mir übergeben. Am Schluß werden wir die Zettel verlosen, und jeder von Ihnen wird eine Personenbeschreibung verfassen über denjenigen, dessen Name auf seinem Zettel steht. Schriftlich. Beinhaltend den Lebenslauf und das Aussehen desjenigen Mitschülers sowie einige eigene Beobachtungen. Hören Sie also aufmerksam zu, denn Sie wissen nicht, über welchen Ihrer Mitschüler Sie schreiben müssen. Dieses Spielchen wird uns helfen, uns in kürzester Zeit kennenzulernen. “
„Warum einfach, wenn’s auch umständlich geht“, wisperte Bettina.
„Na, jedenfalls weiß er
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