Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Erfindungsreichtum und Grausamkeit. Wenn ihr Opfer ihre Quälereien mannhaft aushielt, ohne schwach zu werden, also ohne seinen Huldigungseid zu widerrufen oder um Gnade zu flehen, wurde ihm der Titel ›Besieger des Bösen‹ verliehen.
»So viel Glück hatten leider nicht alle Kandidaten!«, warf Julien ein und hatte gleich darauf den Eindruck, dass sein Sarkasmus wohl nicht gut ankomme.
Kiersten knüpfte dennoch an seine Bemerkung an und berichtete, dass die Neulinge, welche diese Prüfungen nicht aushielten, ausgestoßen und den Folterern übergeben wurden, die sie dann ganz nach ihrem Belieben, einander abwechselnd, langsam töten durften.
Dieses Tötungszeremoniell endete stets auf die gleiche Weise: Der Gemarterte wurde an den Füßen aufgehängt, und man schnitt ihm die Halsschlagader auf, um ihn ausbluten zu lassen. Sein Blut wurde aufgefangen und aufbewahrt, um später bei den rituellen Wa-schungen, welche die ›Taufe‹ von Neulingen begleiteten, über diesen ausgegossen zu werden.
»Und eines schönen Tages haben dann Bösewichte begriffen, dass sich mit diesem Material schönes Geld machen lässt«, sagte Paul Bourdages.
»Genau das«, bestätigte ihm Kiersten. »Bis vor knapp zwei Jahren waren die Kandidaten, die diese Initiationsriten nicht bestanden, nicht sehr zahlreich. Dann aber änderte sich die Situation, weil die Bruderschaft feststellte, dass die Videos von diesen Aufnahmeriten zu horrenden Preisen in einschlägigen Kreisen verkauft werden konnten. Seither wurde das Bemühen um neue Mitglieder stark intensiviert, und gleichzeitig steigerte man die Härte der Folterungen ganz erheblich. Damit haben die Unglücklichen, ganz im Gegen-21
satz zu dem, was man ihnen vorher sagt, so gut wie keine Chance mehr, sie auszuhalten …«
»Diese Videos hatten schwer wiegende Auswirkungen auf den Markt für Snuffs«, ergänzte Julien. »Denn die Fans, die bisher noch gewisse Skrupel hatten, sagten sich jetzt: Wenn diese Fanatiker sich freiwillig zu Tode quälen lassen, kann man sich das auch anschauen…«
»Dabei ist es dann aber nicht geblieben!«, befand Paul Bourdages, als verstehe sich das von selbst.
Kiersten mochte zwar den persönlichen Referenten des Premierministers nicht, konnte aber nicht umhin, seine rasche Auffassungsgabe anzuerkennen.
»Dabei ist es nicht geblieben, ganz recht«, bestätigte sie. »Denn mit der wachsenden Nachfrage nach ›harten Snuffs‹ ist diese Argumentation hinfällig geworden. Bei den neuesten ›Produktionen‹ der Bruderschaft und auch bei dem sonstigen Material, das wir uns beschaffen konnten, ist es ganz eindeutig, dass von einer Zustimmung der Opfer keine Rede mehr sein kann. Hier geht es nur noch um sadistische Morde, die allein aus finanziellen Gründen begangen werden.«
»Genau wie ich befürchtet hatte!«, seufzte Doug Murphy erschöpft. »Ich wusste bis heute nichts von einem Handel mit solchen Machwerken und muss sagen, dass ich mich ohne dieses Wissen wohler gefühlt habe. Außerdem aber geht es dabei, wie Sie ja selbst sagen, um ein begrenztes Phänomen, Gott sei Dank!«
»Wenn Sie aufgrund meiner Ausführungen zu diesem Schluss kommen, muss ich mich wohl falsch ausgedrückt haben.«
Kiersten war aufgestanden und in einen kleinen Raum neben dem Sitzungssaal gegangen. Nur wenige Sekunden später kehrte sie zu-rück und schob einen fahrbaren Aktenständer vor sich her, auf dem 22
in wackeligen Stößen Videokassetten aufgestapelt waren. Auf den ersten Blick mochten es gut hundert sein. Julien rieb sich die Nase, um sein Grinsen zu verbergen: Diese Kiersten hatte wirklich ein Händchen für eindrucksvolle Inszenierungen! Im Übrigen war er beeindruckt von der Menge der Kassetten und fragte sich, ob sie nicht in letzter Minute ein paar harte Pornos mit eingeschmuggelt hatte, damit die Sache entsprechendes Gewicht bekam.
»Das ist nur die Spitze des Eisbergs«, erklärte sie mit einer Kälte, die diesem Vergleich entsprach. »Wir konnten uns erst acht Monate lang ausgiebig mit diesem Vorgang befassen, und Sie sehen hier die Sammlung, die wir in dieser Zeit aus eigener Kraft und mit einer gewissen Unterstützung durch das FBI zusammentragen konnten.«
Ada Nalukturuk starrte auf den Berg von Videokassetten, und ein Ausdruck von Panik überzog ihr Gesicht, als sie sich die ganze Fül-le von Leid und Grauen vergegenwärtigte, die diese kleinen schwarzen Schachteln enthalten mussten. Jede davon wäre wohl ein Be-weismittel bei einem Prozess gegen
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