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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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müssen – nicht das kleinste Plätzchen für diese Art von Wirklichkeit, die ihren Auffassungen von Wesen und Dingen so gänzlich fremd war. Waren diese großen Tränen, die ihr über die Wangen rollten, wirklich die ihren? Sie war sich dessen keineswegs sicher, begrüßte sie aber voller Dankbarkeit. Denn sie verspürte ein großes Bedürfnis danach, dass ihr Körper ihr einen Beweis dafür lieferte, dass sie der menschlichen Gemeinschaft angehörte.
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    2 . KAPITEL
    armonices Mundi International (HMI) war 1982 ins Leben geruH fen worden. Zu den Gründern zählten der Friedensnobelpreis-träger und Domherr Wurst, der guatemaltekische Schriftsteller Emi-lio Varga Pontecorbo und der ehemalige sozialistische Minister Antoine Becker. Ein Jahr darauf wurde Pontecorbo in Tripolis während einer Pressekonferenz ermordet. Er hatte auf dieser Konferenz den erfolgreichen Abschluss seiner Vermittlungsbemühungen im Grenzstreit zwischen Libyen und dem Tschad bekannt gegeben. Seine Ermordung, die vom Fernsehen mitgedreht und live ausgestrahlt wurde, bewirkte, dass die Hilfsorganisation HMI schlagartig bekannt wurde. Drei Jahre später starb der Domherr in seinem Bett, wo er allerdings nicht allein gewesen war, was zu einigen Misstönen bei Totenfeier und anschließenden Nachrufen führte.
    So fand sich nun Antoine Becker allein an der Spitze dieser noch jungen Organisation. Innerhalb kurzer Zeit wurde er zu einer bekannten Persönlichkeit auf dem eher kleinen Feld der humanitären Bemühungen. Auch wenn er nicht müde wurde, seinen engen Mitarbeitern gegenüber zu versichern, dass ›Vermittlung dort endet, wo Vermarktung durch die Medien beginnt‹, pflegte er doch sehr nachdrücklich sein Bild in der Öffentlichkeit. Er achtete stets ganz 29

    instinktiv darauf, dass man ihn von seiner Schokoladenseite und in schmeichelhafter Beleuchtung fotografierte. Becker hatte in zweiter Ehe Catherine Le Gendre geheiratet, Chefansagerin beim Zweiten Französischen Fernsehen. Das Paar sonnte sich auf den Empfängen der Pariser Hautevolee und hatte unter der Schlagzeile ›Antoine und Catherine: die schönste Romanze des Jahres‹ eine Titelseite von Paris Match geziert. In einem Interview hatte der Chef von Harmonices Mundi erklärt, er wisse wohl, dass manche ihm diese zweite Ehe verübelten. Für ihn aber sei sie eine Quelle des Glücks, die ihm die Kraft gebe, im Konflikt miteinander stehende Mächte zu versöhnen und selbst unlösbar scheinende Streitigkeiten zu be-reinigen … Kurz, dieser Antoine Becker war ein ausgesprochen geschickter und eindrucksvoller Aufsteiger, aber doch auch ein Mann mit Mut und Visionen.
    Von Anfang an hatte sich Harmonices Mundi International einen eigenen Weg gesucht, etwa in der Mitte zwischen den Ärzten ohne Grenzen und Amnesty International. In ihrem Programm hieß es, Aufgabe seien ›Vermittlungsbemühungen Menschen guten Willens in jedem erklärten Krieg und bei jedem Konflikt, der zu Gewalttaten führen könnte zwischen Staaten oder auch geschlossenen Gemeinschaften innerhalb eines Staates‹. Vermittlungen in solchen Fällen lägen besser in den Händen einer nichtstaatlichen Organisation, deren Finanzierung klar durchschaubar sei und die frei von politischen oder ideologischen Bindungen handeln könne. Das Programm vertrat auch nachdrücklich die Auffassung, dass man nicht einfach abwarten dürfe, sondern frühzeitig das Interesse der Kon-fliktparteien an einer Vermittlung wecken müsse, da selbst bei den heftigsten Auseinandersetzungen und den verbissensten Streitigkeiten die Beteiligten früher oder später das Auftreten eines Vermittlers herbeisehnten – immer unter der Voraussetzung natürlich, dass sie ihr Gesicht wahren könnten und keine Schwächung ihrer Positionen hinnehmen müssten.
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    Seit seiner Gründung konnte HMI beachtliche Erfolge verbuchen. Beiträge und Spenden schienen hier also gut angelegt zu sein.
    Die Finanzen der Organisation waren auch weiterhin durchschaubar, von ihren Aktivitäten ließ sich das hingegen nicht immer sagen. Die Erfahrungen hatten jedoch gezeigt, dass die Chancen für eine erfolgreiche Vermittlung umso größer waren, je weniger davon in den Medien berichtet wurde. Antoine Beckers Feinde freilich –
    und es gab sie – bemäkelten, dass man zwar ständig von den Erfolgen von Harmonices Mundi berichte, aber so gut wie nie von Fehlschlägen.
    Antoine Becker hob die Augen und zuckte zusammen. Vor ihm stand eine junge Frau, deren Eintreten er nicht

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