Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
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rence, haben Sie Zeit, um mit mir zu Mittag zu essen? Entschuldigen Sie, wenn das jetzt etwas mechanisch geklungen hat… Dann setzen wir unser Gespräch in Ruhe fort. Aber können wir jetzt gleich irgendetwas für Sie tun? Monique steht ganz zu Ihrer Verfügung …«
»In der Botschaft habe ich in Zeitschriften geblättert. Da stieß ich auf einen Bericht über François Mitterrand …«
Sie verstummte – eine plötzliche Gefühlsregung schien sie zu erfassen.
»Mitterrand?«, murmelte Antoine verständnislos.
»Ich wusste nicht, dass er tot ist«, erklärte sie, heftig atmend. »Ich habe doch nicht die leiseste Ahnung, was in den letzten fünf Jahren passiert ist!«
»Natürlich! Man muss zugeben, dass Sie sich in einer wirklich ungewöhnlichen Situation befinden … Ein schwarzes Loch von fünf Jahren! Dann können Sie ja auch nichts wissen von Bosnien, von Ruanda, von Algerien!«
Sie schüttelte den Kopf, schien aber nicht besonders interessiert zu sein, Neuigkeiten darüber zu erfahren. Das hinderte sie jedoch nicht daran, zu fragen, ob die Informationsabteilung von Harmonices Mundi ihr vielleicht eine Zusammenstellung von den wichtigsten Ereignissen während ihrer fünfjährigen Gefangenschaft machen könnte.
»Man hat mir zwar auf dem Flug Zeitungen angeboten«, fügte sie hinzu, »aber ich brachte es nicht fertig, sie zu lesen. Ich hatte wohl Angst davor, so schnell in die Gegenwart zurückzukehren …«
Sie erhob sich als Erste, sodass Antoine Becker nicht von sich aus die Unterhaltung beenden musste. Er umarmte sie zum Abschied nochmals, achtete dabei aber sorgsam darauf, den direkten Blick aus ihren wasserblauen Augen zu vermeiden, der ihm unablässig ei-ne überaus bedeutsame Frage zu stellen schien, die er nicht beantworten konnte.
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Laurence schlenderte unter dem bleichen Aprilhimmel ziellos den Quai des Célestines entlang und setzte sich schließlich auf eine Bank. Sie schlang ihre Arme um die Schultern, weil sie ein Frösteln überlief. Würde sie überhaupt die Kraft haben, ihren Spaziergang fortzusetzen? Sie überprüfte ihren Zustand ganz nüchtern medizinisch, als ob ihr Körper jemandem anderem gehöre – und war es nicht auch tatsächlich so? Bei der Vorstellung, weiterzugehen in dieser Umgebung, die nach allen Seiten frei war, in einem offenen Raum, den allein ihr eigener Wille begrenzte, wollten ihre Beine ihr den Dienst versagen. Der Trick war, sich einen festen Punkt zu suchen, den man erreichen wollte: vielleicht den Brunnen dort oder auch jenen Baum, vielleicht auch nur die nächste Bank – das ganze Leben bestand ja aus solchen kurzen Abschnitten, immer nur ein Tag nach dem anderen. »Sie ist doch ganz schön gestört«, murmelte sie und sagte sich sofort, dass sie es sich endlich abgewöhnen müsse, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen. Laurence hatte die Räume von Harmonices Mundi verlassen, weil sie für sich sein wollte, niemandem antworten wollte, den Blicken Unbekannter entgehen wollte, die meinten, sie zu erkennen. Sie hatte zu Monique, der Sekretärin, gesagt, sie sei dann zum Mittagessen mit Becker wieder zurück, aber sie wusste jetzt, dass sie nicht hingehen würde.
Antoine Becker war so stolz darauf gewesen, dass der erste Besuch von Frau Dr. Descombes in Paris nach ihrer Rückkehr ihm gegolten hatte und der Organisation, die er leitete und mit der er sich völlig identifizierte … War er denn nicht auf die Idee gekommen, dass sie ihn vor allem wegen Jean-Louis aufgesucht hatte? Jean-Louis auf Malta, der von ihrer Freilassung gehört haben musste, aber sich noch nicht gemeldet hatte …
Sie hatte sich lange gefragt, ob Becker wohl von ihrer Beziehung gewusst hatte. Vorhin war ihr klar geworden, dass das sicher nicht der Fall gewesen war. Und außerdem hatte sie bemerkt, dass er ihr irgendetwas Wichtiges verheimlichte. Das war zwar mehr eine Intui-37
tion, aber sie war sich dessen doch recht sicher.
Es herrschte zwar kein Gedränge auf dem Quai, und niemand rempelte sie an wie auf dem Flugplatz, wo sie fast ohnmächtig geworden wäre. Aber es waren für sie doch zu viele Menschen ringsum, zu viele fremde Gesichter, zu viel Lärm auch mit all den Fahr-zeugen und vor allem diesem scheußlich lauten Motorrad dort. Sie bog ab, um die Straße zu überqueren, schaute weder nach links noch nach rechts und schritt auf eine Kirche zu. Sie ging hinein und lehnte sich, ganz außer Atem, an eine Säule aus kaltem Stein.
Das Gebäude wurde
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