Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Bildschirm zu. Und was immer er noch verkünden würde, und obwohl es nun klar war, dass das, was man hier sah, nicht der Wirklichkeit entsprach – jeder reagierte darauf mit tiefem Misstrauen und mit Ablehnung.
Unaufhaltsam breitete sich die Dämmerung um das ehemalige Palais der Orsini aus. Das Zirpen der Grillen verlieh dieser Stunde etwas Zeitloses. Laurence wusste, dass die Hitze des Nachmittags noch bis spät in den Abend hinein anhalten würde. Al ein mit sich auf der Terrasse, wunderte sie sich dennoch, dass selbst die Strahlen der gerade untergehenden Sonne noch Wärme abgaben. Dieser längste Tag würde sich Zeit damit lassen, zu enden.
Kiersten, Lydia und Sanguinetti waren nach dem Abendessen gegangen, um sich mit den übrigen Leuten von Casus Belli zu treffen.
Sie mussten eine Bilanz dieses Sonntags ziehen, der wahrlich anders gewesen war als alle übrigen, und Entscheidungen über Sofortmaß-
nahmen treffen.
Die Große Planetarische Kommunion war zum irreparablen Fiasko für die Vereinigungskirche geworden. Sicher, neunzigtausend Mirandisten in zwölf Ländern hatten sich versammelt, um die apo-512
kalyptische Botschaft ihres Propheten zu hören. Doch dank des vorsorglichen Einsatzes der Polizeikräfte und der verdeckten Maß-
nahmen Thierry Bugeauds hatte sich das Schlimmste vermeiden lassen. Man war sehr froh darüber – Laurence vielleicht mehr noch als alle anderen –, ohne jedoch in Jubel auszubrechen: Immerhin hatten sich siebzehn Jünger nicht davon abhalten lassen, die ›Große Kosmische Reise‹ anzutreten. Ganz abgesehen von den schlimmen Geschehnissen in Xaghra selbst… Denn im Heiligtum waren die Jünger dem allgewaltigen Einfluss El Guía Supremos schutzlos ausgeliefert. Letzterer hatte sich selbst übertroffen und einen Teil seiner Zuhörerschaft in einen wahren kollektiven Trancezustand versetzt. Dann hatte er sich zurückgezogen, seine Anhänger dazu auf-rufend, ihm beim Überschreiten der Letzten Schwelle der Entsagung zu folgen.
Die Jünger hatten daraufhin eine große Plane am Fuß der Terrasse entfernt, unter der gut hundert Benzinkanister verborgen waren.
Die Geweihten, die vorher D'Altamiranda geleitet hatten, hatten sich um die Rotunde herum niedergesetzt. Man hatte sie jeweils mit vielen Litern Benzin übergossen, dann hatte sich Argos in der Mitte ihres Kreises niedergelassen, in der Hand einen langen Stab wie eine Hellebarde, an dessen oberem Ende eine Fackel loderte. Diese hatte er ohne jede Hast nacheinander jedem dieser Apostel auf die linke Schulter gesenkt. Während das Feuer ihre Körper verzehrte, hatte er mit einer großen Geste jene Gläubigen, die ihnen bei ihrer Astralen Verklärung folgen wollten, eingeladen, heranzukommen.
Sechsundfünfzig Mirandisten waren seinem Ruf gefolgt, keiner von ihnen hatte überlebt. Die Zahl der Opfer wäre zweifel os erheblich geringer gewesen, wenn die Polizeikräfte früher und in größerer Zahl eingegriffen hätten. Es war unverkennbar, dass die maltesi-schen Behörden taub geblieben waren gegenüber den Warnungen von Interpol. In Valletta war eine Regierungskrise ausgebrochen, und der Premierminister hatte seinen Rücktritt angeboten.
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Bei Ankunft der Polizei hatten sich jene Geweihten, die ihren Genossen nicht in den Feuertod gefolgt waren, in der alten Kapelle verbarrikadiert und Zyankali geschluckt. Argos hatte man in den Räumen El Guías gefunden, eine Kugel im Herzen und eine zweite im Kopf. Niemand von der gesamten Priesterkaste hatte überlebt, ausgenommen ein junger Inder, den man in einem verschlossenen Raum der Kommunikationszentrale gefunden hatte. Er hatte versucht, seinem Leben ein Ende zu bereiten, indem er sich die Puls-adern aufschnitt.
El Guía selbst hatte man überall vergebens gesucht. Der Prophet der Vereinigungskirche, der Höchste Führer, der Wächter über die reine Lehre, der Große Erlöser war getürmt.
Die bläulichen Schatten verschluckten das letzte Leuchten des Tages.
»Kiersten hat angerufen«, erklang die Stimme William MacMillans. »Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht aufschrecken.«
»Ich hörte Sie nur nicht kommen«, sagte Laurence, sich umwendend. »Was gibt es?«
»Nachrichten von Jasmine – ermutigende! Es gelang ihr, Malta unbehelligt zu verlassen, in einem Privatflugzeug, das ein amerikanischer Nachrichtensender ihr zur Verfügung stellte – gegen die Zusage eines Exklusivinterviews… Thierry Bugeaud begleitet sie, beide sind mit heiler Haut
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