Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Die dort aufgestel ten frühen Wiegendrucke, eine einzigartige Sammlung von Unikaten, wurden von kleinen Deckenstrahlern angeleuchtet. Auf einer langen Kredenz vor dem Fenster lagen wertvollste Sammlerstücke jeglicher Art in vorgetäuschter Unordnung, als ob sie auf Inventarisierung oder Sortierung warteten, zu der es doch niemals kommen würde.
In dieser Schatzhöhle Ali Babas standen auch zwei große Fernseher, deren Anachronismus schon fast etwas Bedrohliches an sich hatte. Die Vorhänge waren zugezogen, doch die beiden Flügel der hohen Fenstertür zur Galerie hinaus standen weit offen. So konnte sich der Blick vom Bildschirm lösen und aus dem Halbdunkel des Raums in den sonnenbeschienenen Park schweifen. Dort schienen die hundertjährigen Bäume aus der Entfernung mit ihren Zweigen beruhigende Signale zu geben.
Man hatte Sessel in einem Halbkreis aufgestellt; Kiersten war jedoch zu aufgeregt, um sich zu setzen. Gerade war Luigi Sanguinetti mit alarmierenden Neuigkeiten eingetroffen: An den Eingängen zum Giuseppe-Lombardi-Stadion hatte die Polizei von Neapel Hunderte Liter Benzin beschlagnahmt, die man in Behältnissen aller Art transportiert hatte. Außerdem hatte man Spiritus in Thermoskan-nen und Kerosin in Trinkflaschen gefunden.
Auf dem linken Fernsehschirm erschienen nun Bilder aus dem In-nenraum des überdachten Stadions. Sie waren beeindruckend: Um die zwölftausend Mirandisten hatten sich hier versammelt und erwarteten in schweigender Versunkenheit die Verkündigung der Fünften Offenbarung. Alle verharrten in der Laurence und Lydia so gut bekannten Haltung des ›Opferangebots‹: den Kopf geradegerichtet, 505
die Arme vom Körper weg leicht vorgestreckt, die offenen Handflä-
chen nach oben. Bereit zur ›Planetarischen Kommunion‹, waren die Jünger einer riesigen Leinwand zugewandt, auf welcher El Guía Supremo erscheinen sollte, sobald auf der Insel Gozo die Sonne ihren höchsten Stand erreicht haben würde. Die meisten von ihnen hatten von einer Sondergenehmigung des Meisters Gebrauch gemacht und sich die Augenbrauen entfernen lassen.
Der rechte Fernseher war auf den Kabelempfang des Programms der Vereinigungskirche eingestellt, das über Satellit übertragen wurde. Auch hier war eine Menge von Gläubigen im Gebet zu sehen; doch sie waren auf dem großen Platz des Heiligtums in Xaghra versammelt. Luigi Sanguinettis Augen hingen gebannt am Bildschirm, seine Lippen bewegten sich unaufhörlich: Er führte Selbstgespräche.
Rechts von ihm warf Buglione einen Blick auf seine Uhr.
»Noch drei Minuten!«, stieß er zwischen den zusammengepress-ten Zähnen hervor. »Wenn es diesem Thierry tatsächlich gelingen sollte, die Ausstrahlung zu verhindern, lässt er sich damit jedenfalls bis zur letzten Sekunde Zeit! Logisch!«
»Und dann?«, rief Lydia mit angstvollem Zweifel aus, der an ihr überraschte. »Wenn man D'Altamiranda den Ton abdreht, wird er doch zum Märtyrer! E vero! Schaut euch doch mal seine Anhänger an: Die warten doch auf nichts anderes, um sich zu entflammen!«
Kiersten wandte sich um und warf ihr einen entnervten Blick zu.
Sandrine und Gabriella standen weiter hinten im Büro. Man hör-te sie miteinander tuscheln und gelegentlich kichern. Laurence wiederum saß etwas abseits. Was dort in Malta oder in Neapel geschah, interessierte sie weit weniger als das Verhalten der Leute hier in ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie konnte deren Seelenzustände mit fast schmerzhafter Intensität nachempfinden und fragte sich für einen Augenblick, ob nicht vielleicht Fjodor Gregorowitsch insgeheim seine seltsame Fähigkeit der Empathie auf sie übertragen habe.
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»Es ist soweit«, murmelte William MacMillan. »Jetzt geht's richtig los!«
Miguel D'Altamiranda erschien in einer weißen Dschellaba unter dem Portal des alten Johanniterklosters. Von zwölf Geweihten geleitet, schritt er über die von einer Steinbalustrade eingefasste Terrasse. Dann stieg er majestätisch gemessen allein die sieben Stufen der großen Rotunde hinauf, welche die Gärten des Heiligtums überragte. Er ließ einen Blick voller Schmerz und Mitleid über die versammelte Menge schweifen. Die Kamera zoomte ihn näher heran, das Bild erstarrte. Man würde also diese Fünfte Offenbarung in der gleichen Weise ausstrahlen wie die vorhergehenden: Der Redner würde, nach amerikanischem Vorbild, die gesamte Bildfläche beherrschen bis zum Ende seiner Verkündigung. Es war offenkundig, dass man diese Kameraeinstellung
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