Bin ich hier der Depp
die Mail ist vom Tisch, aber ein großes Problem mehr: Wenn er beim nächsten Mal elf Minuten für seine Antwort braucht, wird der Chef das als langsam empfinden. Wer einmal auf eine SMS während eines Meetings antwortet, kann seine verspätete Antwort nicht mehr mit seiner Anwesenheit in einem Meeting erklären. Und wer Handygespräche zu jeder Zeit anzunehmen pflegt, muss damit rechnen, dass ihn seine Firma für tot erklären lässt, wenn er einmal nicht rangeht, und sei es um 21.45 Uhr.
Das Direktionsrecht der Chefs wirkt aufs Multitasking wie der Funke aufs Dynamit: Alle Arbeiten, die sie ihren Mitarbeitern zuweisen, sind mit hoher Priorität zu behandeln, nicht weil sie wichtiger als andere wären, sondern weil sie von ihnen, den Chefs, kommen. Wie Einbrecher dringen Vorgesetzte in die Arbeitsabläufe ihrer Mitarbeiter ein, oft mit Nichtigkeiten, dabei zerstören sie den Arbeitsfluss und die Motivation.
Zum Beispiel ist der Leiter einer Personalabteilung berüchtigt dafür, dass er in die Einzelbüros seiner Mitarbeiterinnen einfällt und einfach losredet, auch wenn die Angesprochene gerade telefoniert. Die Mitarbeiterin muss sich dann beim Telefonpartner entschuldigen, eiligst das Gespräch beenden und sich ganz dem Chef widmen, der natürlich nur um eine »kleine Gefälligkeit« bittet – auch wenn die Zusatzarbeit, die er ablädt, weder klein ist noch der Mitarbeiterin gefällt.
Dschungelgesetz der Arbeit: Der Chef meint, er könne als hierarchisch Stärkerer einen Mitarbeiter jederzeit für sich beanspruchen, ihn aus Vorgängen reißen und in neue stürzen. Jeder Kunde kann warten, jedes Angebot hat Zeit, jeder andere Termin ist nichtig, wenn dem Chef gerade einfällt, selber etwas zu wollen.
Der moderne Mitarbeiter, dem alle Freiheit nachgesagt wird, nähert sich tatsächlich seinem Urahnen, dem Lohnsklaven der Industrialisierung, der seine Handgriffe vom Fließband diktiert bekam. Was für den Fabrikdirektor das Fließband war, sind für den heutigen Chef die modernen Medien: Mit ihnen lässt sich der Mitarbeiter dirigieren und kontrollieren. Doch während das Fließband in der Fabrikhalle endete, greift diese Kontrolle übers Firmengelände hinaus.
Nicht der moderne Mitarbeiter bestimmt über die Medien, sondern die Medien bestimmen über ihn. Ein digitaler Taylorismus breitet sich aus, und die Ausbeuter sind klug genug, den Ausgebeuteten das Multitasking als erstrebenswerte Fähigkeit zu verkaufen. Dabei ist es nur eine Notwehr – gegen die Zumutungen der modernen Arbeit.
Hamsterrad-Regel: Eine Arbeit, die vom Chef kommt, hat immer Vorfahrt. Für Termin-Unfälle, die dabei entstehen, haftet der Mitarbeiter.
Wie man den Kopf verliert
Als der Chef seinen Mitarbeiter völlig bekifft am Schreibtisch vorfand, lobte er ihn für seinen Arbeitseifer und drückte ihm einen weiteren Joint in die Hand. Unglaubwürdig? Nicht ganz! Eine Studie am Londoner King’s College wollte herausfinden, wie sich das ständige Abrufen von Mails auf den Intelligenzquotienten auswirkt. Eine Gruppe wurde mit Marihuana berauscht, die andere mit Mails. Heraus kam: Die Kiffer behielten den klareren Kopf und den höheren IQ . [43] Wenn der Chef seinen Mitarbeiter für schnelle Mails lobt, womöglich per Mail, hält er ihn auf digitaler Droge.
Der Begriff Multitasking ist unmenschlich: Er stammt aus der Computersprache und bezeichnet die Fähigkeit eines Betriebssystems, zur selben Zeit mehrere Aufgaben zu bewältigen. Jeder dieser Prozesse greift zu auf das Zentralhirn des Computers, den Hauptprozessor. Dieser verteilt die Kapazitäten. Doch die Vorgänge laufen nur scheinbar gleichzeitig ab: Sie geschehen blitzschnell nacheinander.
Und wer am Computer zu viele Prozesse aktiviert, bekommt das zu spüren: Dann steckt der Computer fest. Und wir sagen, nun wieder vermenschlichend: »Der Computer hat sich aufgehängt!« Erste Hilfe leistet dann zum Beispiel der Task-Manager von Windows, der einzelne Prozess abbricht, um Kapazität für andere zu schaffen.
Das menschliche Gehirn kann zur selben Zeit ebenfalls nur einen Prozess bearbeiten, nur einen Gedanken fassen. Seine Kapazität bleibt immer dieselbe, auch wenn jemand viele Vorgänge anfängt.
Mit der menschlichen Konzentration verhält es sich wie mit einem Schlauch, aus dem eine bestimmte Menge an Wasser fließt: Kein Tropfen geht verloren, solange der Schlauch auf nur einen Eimer gerichtet ist. Der Eimer füllt sich schnell.
Was aber geschieht, wenn man das Wasser zur
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