Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
Vom Netzwerk:
Beine machen, obwohl wir schon rannten. Die Folge war, dass immer mehr Mitarbeiter erkrankten. Zahlreiche Burn-out-Fälle hatten schon die Personalabteilung auf den Plan gerufen. Unser Chef wurde animiert, mit uns ein Anti-Stress-Training zu belegen. Widerwillig ließ er sich darauf ein.
    An einem Freitag sollte das Seminar stattfinden. Doch am Tag davor brannte die Hütte. Er wollte, dass wir alle Aufgaben des nächsten Tages vorarbeiten. Er kommandierte das Großraumbüro wie eine Galeere. Doch dann kam nachmittags noch eine komplizierte Anfrage aus den USA. Das wäre nicht mal mit Nachtschicht zu schaffen gewesen.
    Plötzlich klatschte mein Chef in die Hände: »Alle mal herhören! Das Training für morgen werde ich absagen! Wir arbeiten ganz normal.« Er versprach, das Stresstraining werde nachgeholt, wenn wir »weniger Stress haben«.
    Bis heute, zwei Jahre später, hat der Kurs nicht stattgefunden!
    Bettina Hauck, Touristikerin
    Der Fluch der Gleichzeitigkeit
    »Notwehr« nennt man es, wenn sich jemand auf der Straße gegen einen Überfall verteidigt. Und »Multitasking« nennt man es, wenn sich jemand bei der Arbeit gegen zu viele Anforderungen wehrt. Weil gleichzeitig so viele Aufgaben über die Mitarbeiter herfallen, werden diese auch gleichzeitig abgewehrt, sprich: erledigt. Die Angegriffenen passen sich dem Tempo der Angriffe an.
    Diese Notwehr richtet sich gegen Arbeit, die kein Maß mehr kennt und mit einer gefährlichen Waffe angreift: den modernen Medien. Vielen Mitarbeitern geht es wie Angela Merkel, von der es im »Spiegel« hieß, das Lagezentrum schicke ihr alle drei bis fünf Minuten eine Nachricht. [42] Macht 15 Angriffe in der Stunde und 180 an einem Zwölf-Stunden-Tag.
    SMS , Mails, Tweets und Anrufe sind unhöfliche Besucher: Sie klopfen nicht an, ehe sie das Büro betreten, sie platzen einfach rein. Wer sie ignoriert, bekommt mit seiner Umwelt ein Problem, vor allem mit seinem Chef. So mancher Vorgesetzte macht Radau, wenn er nach einer halben Stunde noch keine Antwort hat.
    Die modernen Medien erhöhen den Arbeitsdruck: Anrufer, die nicht durchkommen, saugen sich in der Leitung fest, klopfen an. Mehrere Telefongespräche, die früher nacheinander stattfanden, passieren gleichzeitig, als Conference-Call. Und galt bei einem Brief noch eine Antwortfrist von sieben Tagen als höflich, will die Mail eines Kunden nach 24 Stunden beantwortet sein, spätestens.
    Doch die gefährlichsten Angriffe fährt die eigene Organisation. Unternehmen bohren mit Vorliebe im eigenen Bauchnabel. Chefs mailen pausenlos Protokolle, die genauso überflüssig wie jene Meetings sind, von denen sie berichten; Richtlinien, nach denen sich kein Mensch richtet; Quartalszahlen, an die kein Mensch glaubt; und Firmenvisionen, die für große Erfolge sorgen, wenn auch nur: Lacherfolge unter den Mitarbeitern. Frei nach Mark Twain könnte man sagen: Zuerst schuf Gott die Idioten. Das war zur Übung. Dann schuf er die Firmenbürokratie.
    Vorzugsweise sind die Anhänge solcher Mails so lang, dass der Bildschirm vom zwölften bis in den ersten Stock reichen müsste, um den ganzen Text auf einmal zu sehen. Natürlich werden die Empfänger um ausführliche Stellungnahme gebeten. Nicht jetzt sofort, um 13.30 Uhr, nein, nein. Bis 14.30 Uhr reicht dicke!
    Geschont werden Mitarbeiter nicht! Und das, obwohl sie in vielen Unternehmen eine aussterbende Gattung sind. In den meisten Konzernen wurde zuletzt »rationalisiert«, übersetzt heißt das: Einzelne Mitarbeiter müssen jetzt, bei dünnerer Personaldecke, irrational viel schaffen. Die Menge der Arbeit ist größer als die Zeit, sie zu erledigen; das beschwört Multitasking herauf.
    Denn wer alles nacheinander macht, lebt in der ständigen Furcht, eine Antwort auf eine wichtige Mail zu vergessen (darum schreibt er sie gleich, zwischendurch), einen Rückruf zu versäumen (darum greift er gleich zum Telefon, zwischendurch), eine Branchen-Nachricht zu spät zu erfahren (darum springt er immer wieder auf Homepages, zwischendurch) und eine Antwortfrist in einer Mail zu verpassen (darum checkt er seine Mails nicht alle fünf Stunden, sondern alle fünf Minuten, zwischendurch). Vor lauter Zwischenzeiten gibt es keine Endzeiten mehr, vor lauter Nebensachen keine Hauptsachen.
    Multitasking ist Selbstverteidigung gegen Überforderung. Aber sie funktioniert nicht. Die Abwehr verstärkt die Angriffe. Wer die Mail seines Chefs in zehn Minuten beantwortet, hat damit ein kleines Problem weniger, denn

Weitere Kostenlose Bücher