Bin ich hier der Depp
immer höherer Dosis. Mit immer fataleren Folgen.
Eine dieser Folgen sind die Arbeitsergebnisse, wie der Stanford-Wissenschaftler Clifford Nass in einer Studie herausfand. [48] Verglichen mit Menschen, die selten multitasken, sind die Multitasker unkonzentrierter, vermengen Wichtiges und Unwichtiges. Und wie dumme Bewegungsmelder, die nicht zwischen Mensch und Katze unterscheiden, reagieren sie auf jeden Reiz von außen, auch Nichtiges.
Sie tun sich schwer mit Aufgaben, die Ausdauer erfordern. Ihre geistige Leistung lässt nach, in ihr Denken schleichen sich Fehler ein. Und wer meinte, beim Multitasken lerne man wenigstens das Multitasken, sieht sich getäuscht: Nicht einmal darin werden die Multitasker besser!
Der FAZ -Herausgeber Frank Schirrmacher, bis dahin nicht als Kapitalismus-Kritiker bekannt, bezeichnet Multitasking in seinem blitzgescheiten Buch »Payback« als »Körperverletzung« und resümiert: »Multitasking ist der zum Scheitern verurteilte Versuch des Menschen, selbst zum Computer zu werden.« [49]
Aber wer hat die Menschen auf diese irrsinnige Idee gebracht? Wer tut seit der Industrialisierung alles, um aus Maschinen und Menschen das Letzte rauszuholen, damit der Rubel rollt? Wer hat die Fließbänder erfunden, die Computer eingeführt, die Welt so rasant beschleunigt, dass die Köpfe und Herzen nicht mehr mitkommen?
Wer, wenn nicht die rücksichtslosen unter den Arbeitgebern, hat den modernen Menschen zum strampelnden Versuchstier im Hamsterrad des Multitaskings gemacht?
Hamsterrad-Regel: Es gibt viele Wege, den Verstand zu verlieren. Multitasking ist der modernste.
Deppen-Erlebnisse
Wie meine Teamleiterin als Arbeitsjongleurin scheiterte
Meine Teamleiterin war eine große Verfechterin des Multitaskings. »Alles eine Frage der Organisation«, pflegte sie zu sagen. Und wer das nicht glauben wollte, wurde vor ihren PC gezerrt, um ihr Outlook-Ablagesystem vorgeführt zu bekommen. Ihre Maileingänge und -entwürfe verteilte sie auf schätzungsweise hundert Ordner, thematisch getrennt – und mit diesem System war sie angeblich in der Lage, zur gleichen Zeit an hundert Projekten zu arbeiten. Dasselbe erwartete sie von uns.
Eines Abends lief eine Frist für ein Angebot ab, mit dem wir uns um einen Bauauftrag bewerben wollten. Ich hatte das Dokument am frühen Nachmittag fertig gemacht und meiner Teamleiterin gemailt. Sie wollte noch etwas korrigieren und es dann verschicken. Die Chancen auf den Zuschlag standen gut, denn wir hatten knapp kalkuliert. Der Kunde war eine Behörde, die ihre Aufträge dem günstigsten Anbieter gab.
Eigentlich teilte die Behörde zeitnah mit, wer den Zuschlag bekommen hatte. Doch diesmal kam keine Nachricht. Nach drei Wochen rief ich bei der Behörde an. Der Bauamtsleiter sagte fröhlich: »Das kann ich erklären, warum Sie keine Nachricht bekommen.«
»Nämlich?«, fragte ich.
»Sie haben kein Angebot abgegeben!«
Ich stellte die Teamleiterin zur Rede. Sie schwor mir, das Angebot verschickt zu haben. Doch als sie mir das Dokument in ihren Postausgängen zeigen wollen, fand sie es nicht. Dafür tauchte es in einem der zahllosen »Entwurfs«-Ordner auf. Sie hatte es nicht verschickt, weil sie gleichzeitig an anderen Projekten gearbeitet hatte.
Durch ihr Multitasking ist uns ein Auftrag über 450 000 Euro entgangen.
Jasmin Kahn, Bürokauffrau
Wie mein Kollege unseren wichtigsten Kunden verprellte
Ich war bei einer Verkaufsmesse mit einem Kollegen unterwegs, der immer mehrere Dinge zur gleichen Zeit tat. Sein Handy presste er ans Ohr, während er Kunden die Hand schüttelte, anderen Messebesuchern zuwinkte und mit einem Auge auch noch Verkaufsprospekte studierte. Der ununterbrochene Arbeitsdruck hatte ihm so eingeheizt, dass er es für nötig hielt, mit der Arbeit einen Mehrfronten-Krieg zu führen.
Ich kam mir wie ein Faulpelz vor, weil ich mein Handy ausgeschaltet hatte und mich auf die Gespräche mit den Kunden konzentrierte. Offenbar war er viel auffassungsbegabter als ich, viel schneller im Kopf, wenn auch: viel unhöflicher.
Da passierte Folgendes: Wir liefen am späten Nachmittag zum zweiten Mal einem wichtigen Kunden über den Weg, dem Einkaufschef Dr. Suhr. Beide hatten wir ihn schon am Morgen begrüßt, mein Kollege aber eher flüchtig mit den Worten, die er bei jeder Begrüßung wie ein Tonband abspulte: »Wie schön, Sie zu sehen! Wie lang ist es schon her?«
Und nun strebte er, sein Handy ans Ohr gepresst, erneut auf Dr. Suhr zu. Wollte er
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