Bin ich hier der Depp
ein Augenzwinkern an. Doch die Mitarbeiter spüren: Er meint die indirekte Kritik ernst. Ein nettes Wort, ein Blick über die Arbeit hinaus, gute Stimmung gar – unerwünscht!
Ich kenne Fälle, in denen Mitarbeiter abgemahnt wurden, weil sie Mails mit ebenso lustigen wie harmlosen Anhängen an ihre Kollegen weitergeleitet haben. Offizielle Begründung: »Sie gefährden unser Computersystem.« Doch in Wirklichkeit sehen die Chefs etwas anderes gefährdet: den hausgemachten Frost. Viele sind noch immer der Überzeugung: Mitarbeiter dürfen bei der Arbeit nichts zu lachen haben! Ohne Schweiß kein Preis!
Wenigstens in dieser Hinsicht sind Chefs gute Vorbilder. Sie rennen in einem Tempo über den Flur, dass jedes Mal, wenn sie zum Meeting-Raum durchstarten, der aktuelle Rekord im Hundert-Meter-Sprint wackelt. Arbeit als Wettkampf, jeder gegen jeden: Deutschland gegen China, Firma gegen Firma, Mitarbeiter gegen Mitarbeiter. Und: Mensch gegen Uhr!
Und wenn der Geschäftsführer die neuen Ergebnisse verkündet, setzt er natürlich ein Gesicht auf, als verlese er eine Todesnachricht. Beerdigt werden freilich nur die Gehaltswünsche der Mitarbeiter. Sogar ein steigender Gewinn wird der Belegschaft als Hiobsbotschaft verkauft. Mal lag er unter der Schätzung (die bewusst völlig übertrieben war!), mal hat die Konkurrenz noch einen Euro mehr verdient. Die Mitarbeiter sollen, wie Chefs es gern formulieren, »nicht übermütig werden« – nicht auf die Idee kommen, von dem gewachsenen Kuchen ein größeres Stück für sich zu beanspruchen.
Frost im Büro scheint ein gutes Mittel, damit keine Solidarität unter Mitarbeitern wächst. Wenn jeder weiß, dass die Abrissbirne der Rauswerfer entweder ihn oder den Kollegen trifft, wenn jeder sich selbst der Nächste und der Feind seines Kollegen ist, dann haben die Firmen leichtes Spiel, diesen mit Angst narkotisierten Haufen nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, von Zumutung zu Zumutung.
Dagegen könnten Kolleginnen, die sich gut verstehen, wie Beate und Susanne, ihre Kräfte bündeln – zum Beispiel Gehaltszahlen austauschen und dabei Ungerechtigkeiten feststellen, gemeinsam pünktlich Feierabend machen, statt sich mit langen Arbeitszeiten unter Druck zu setzen, oder sich mit vereinter Kraft über ihren unfähigen Vorgesetzten beschweren, statt ihn durch Hurra-Rufe und Spitzeldienste zu hofieren.
Die Arbeitswelt ist die kälteste aller Welten. Woher kommen diese Klimakatastrophe, dieses Profit-über-alles-Denken, dieses Seelen-Eis?
In Abwandlung von Karl Marx: Die Firmen machen nicht nur die Verhältnisse, sondern die Verhältnisse machen auch die Firmen. Auf den Märkten tobt der Überlebenskampf. Mit Kopfjägern (»Headhuntern«) machen die Firmen ihren Konkurrenten die Talente abspenstig. Mit Schmiergeldern erkaufen sie sich die Gunst von Auftraggebern in fernen Ländern. Mit kriegerischem Eifer werfen sie sich in Fusionsschlachten. Wer nicht willig ist, wird mit Gewalt bezwungen, das nennt sich »feindliche Übernahme«. Und auf dem Friedhof der Insolvenzen schlummern jene Firmen, deren Bandagen für einen solchen Kampf nicht hart genug waren.
Diese feindliche Atmosphäre schwappt in die Firmen über. Ständig lautet die Frage: Sein oder nicht sein? Arbeitsplatz oder Kündigung? Du oder ich? Ein solches Klima wirkt sich auf Mobbing aus wie Eisregen auf Verkehrsunfälle: Es kracht am laufenden Band.
Hamsterrad-Regel: Wer behauptet, das Klima der Erde erwärme sich, war noch nie in einer deutschen Firma!
Wir arbeiten uns zu Tode
Die Augen des Kommunikationsdesigners, der vor mir saß, flackerten wie die Fenster eines brennenden Hauses. Sprungbereit saß er auf der Stuhlkante. Seine Finger kneteten einander, bis sie weiß wurden. Immer wieder schreckte er mitten im Gespräch aus seinen Gedanken hoch: »Entschuldigung, ich war gerade nicht bei der Sache.«
Ein Nervenbündel war er, gebeutelt von seiner Arbeit. Seine Chefin hatte ihm das auch schon gesagt, aber im Ton des Vorwurfs – als hätte das Problem nur mit ihm zu tun und nicht mit dem enormen Arbeitsdruck. Der Designer erzählte: »Jeden Tag schufte ich von früh bis spät, damit die Arbeit weniger wird – aber sie nimmt zu!«
In die Karriereberatung war er gekommen, um sich Tipps für sein Zeitmanagement geben zu lassen. Auf meinen Rat ging er zu einem Allgemeinmediziner. Dort stellte sich heraus, dass sein Blutdruck bei 170 und sein Ruhepuls bei 90 Schlägen lag. Der Arzt zog den Mann für drei Wochen aus dem
Weitere Kostenlose Bücher