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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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wie früher, waren es mittlerweile zehn.
    Und die Quote stieg, denn jeder Unfall verschärfte den Teufelskreis: Die Ausfälle durch Krankheit erhöhten den Druck auf die Verbliebenen. Noch mehr Stress, noch mehr Schichtdienst – noch mehr Unfälle! Es schien Werner Torben nur eine Frage der Zeit, bis er den ersten Schwerverletzten aus seinem Werk würde tragen müssen.
    Dass Menschen sich bei der Arbeit schädigen, ist keine Ausnahme: Pro Jahr passieren in Deutschland rund eine Million Arbeitsunfälle, 664 davon endeten 2011 tödlich. Und etwa 2500 Menschen gehen pro Jahr an ihrem Job zugrunde: Sie sterben an anerkannten Berufskrankheiten. [54] Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
    Der Hilferuf des Werksleiters hatte personelle Konsequenzen, wenn auch nicht die gewünschten: Werner Torben wurde freigestellt. »Unser Verhältnis ist zerrüttet«, schrieb der Geschäftsführer. Dabei hatte Torben nur ausgesprochen, was jeder in der Statistik sehen konnte. Er bekam eine Abfindung und musste gehen.
    Statt die Gefahr für die Mitarbeiter zu beseitigen, beseitigte man den Mann, der auf die Gefahr hinwies!
    Ein Märchen ist es, dass sich Personalkosten kürzen lassen, während die Produktion stabil bleibt: Die Kosten werden auf die Mitarbeiter verschoben. Die Münze, mit der sie bezahlen, ist ihre Gesundheit. Aus lauter Angst, das nächste Entlassungsopfer zu sein, riskieren sie Kopf und Kragen.
    Ich kenne Außendienstler, die so übermüdet durch die Republik rasen, dass eine rollende Bombe dagegen harmlos wäre. Ich kenne Fabrikarbeiter, die ihre eigenen Schichtpläne manipulieren, um schlaftrunken durcharbeiten zu können. Und mir sind jede Menge (leitende) Angestellte bekannt, die in ihren Großraumbüros campieren, weil keiner als Erster nach Hause gehen will.
    Der Arbeitswahn ist das Ergebnis eines Dressurakts. Dieser gelingt den Firmen umso besser, je diffuser die Ängste sind, die sie ihren Mitarbeitern einjagen. Zum Beispiel habe ich verfolgt, wie ein mittelgroßer Konzern in einer Niederlassung verkündete: »Wir müssen in den kommenden fünf Jahren jeden vierten Arbeitsplatz streichen.«
    Das Gespenst der Kündigung schlich durch alle Büros. Niemand wollte es durch eine ungeschickte Bewegung auf sich aufmerksam machen. Alle taten das, von dem sie glaubten, es werde erwartet. Überstunden aufschreiben? Geschenkt! Pünktlich nach Hause gehen? Arbeit geht vor! Nein sagen, wenn der Chef etwas will? Stets zu Diensten!
    Aber garantiert dieser Einsatz, dass jemand nicht entlassen wird? Nein, denn jeder weiß: Damit es mich nicht trifft, muss es andere treffen! Und diesem Glück helfen einige auf die Sprünge. Sie beschränken sich nicht aufs Schaulaufen vor dem Chef, auf nächtliche Mails und sonstige Purzelbäume. Vielmehr nutzen sie jede Chance, ihre Kollegen anzuschwärzen. Wer zieht bei einem Projekt nicht mit? Wer hat einen Kunden verprellt? Wer schaut bei den Arbeitszeiten noch auf die Uhr? Und wer wagt es, während der Arbeitszeit einen Arzttermin zu vereinbaren oder gar ein schlechtes Wort über den Chef zu verlieren?
    Mitarbeiter bekämpfen Mitarbeiter: Sie hauen und stechen, lästern und mobben, petzen und hetzen, intrigieren und spionieren. Die Stimmung ist wie in einer politischen Diktatur: Keiner traut dem anderen mehr über den Weg. Seelen werden verkauft fürs Überleben. Angeblich kommen nur die Härtesten durch. Doch nicht die Evolution ist hier am Werk – sondern die Profitgier der Firmen!
    Und welcher Preis winkt den Härtesten, die sich durch- und andere rausgeboxt haben? Trifft auf sie eine Behauptung des irischen Autors Oscar Wilde zu: »Der Unterschied zwischen einem Heiligen und einem Sünder ist, dass der Heilige eine Vergangenheit und der Sünder eine Zukunft hat?«
    Ach was, die Sünder fliegen ebenfalls! Denn am Ende wird das komplette Werk geschlossen. Das Wiedersehen mit den zuvor Rausgemobbten findet an einem unromantischen Ort statt: in der Arbeitsagentur.
    Hamsterrad-Regel: Entgegen allen Vorurteilen haben Chefs doch einen Plan! Man nennt ihn: Entlassungsplan.
    Rambo als Rausschmeißer
    Der Kündigungsgrund war so klein, dass er auf einen Teelöffel passte, und so billig, dass sein Wert kaum in Cent zu messen war. Dennoch waren zwei Bäckermeister, einer davon Betriebsrat, von der Brötchenkette Westermann vor die Tür gesetzt worden. Ein Kunde hatte moniert, ein Belag sei versalzen. Worauf die Bäcker, um den Belag abzuschmecken, je einen Teelöffel Schafskäsepaste

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