Bin Ich Schon Erleuchtet
fing sofort an zu kichern.
Ich sagte ihr, wie schön ich den Bungalow fand, und sie kicherte weiter und sagte: »Ja.«
»Ich hatte nicht erwartet, bei einem Yoga-Retreat drei Pools zur Auswahl zu haben!«
Sie runzelte die Stirn und nagte an der Unterlippe. Ich dachte, sie hätte mich vielleicht nicht verstanden, deshalb wiederholte ich: »Drei Pools, das ist toll.«
»Zwei Pools«, sagte sie. Ihr Gesicht wurde ernst, und sie suchte nach Worten. »Der kleinste Pool ist … reserviert.«
»Reserviert?«
Sie nickte und wich mir mit einem geschickten Hüftschwung aus.
Ich drehte mich um und sah ihr nach. Sie nahm immer zwei Stufen auf einmal. Die Schatten am oberen Ende der Treppe hatten sie schon fast verschluckt, als ich ihr hinterherrief: »Für wen ist der kleinste Pool reserviert?«
Sie antwortete, ohne sich umzudrehen: »Für Gott.«
Mitternacht
Ich glaube, ich weiß jetzt, durch welche Eigenschaft Jessica auf mich so seltsam und ungewohnt wirkt: Sie ist eine ernsthafte Person. Ernsthaft ernsthaft, meine ich. Die meisten meiner Freunde sind lustig, ironisch, sarkastisch. Theaterleute, Schriftsteller, Leser. Nun ja, Raucher eben. Raucher sind immer ironische Zeitgenossen, oder? (Obwohl mir gerüchteweise zu Ohren kam, dass uns allen nach dem 11. September die Ironie demnächst abhandenkommen wird. Anscheinend haben wir im Zeitalter der Ironie gelebt, das jetzt zu Ende ist. Merkwürdige Sache, wenn man bedenkt, dass die Ironie die meisten Kriege, Revolutionen und Seuchen der Menschheitsgeschichte überstanden hat – aber gut, wir Amerikaner sind zurzeit eben eine ziemlich empfindliche Nation.)
Nein, Jessica ist ernst und pausenlos inspiriert. Es kommt mir vor, als wären ihre Antennen immer auf einen unglaublich ergreifenden Radiosender eingestellt, der ihr die Absolut Megageilsten Nachrichten Aller Zeiten liefert. Wenn sie besonders aufgeregt ist, steigt ihre Stimme in silbrig-blaue Höhen, und ich frage mich, ob sie womöglich gleich zu tirilieren anfängt. Als sie mir von ihrem Body-Work erzählte – sie nennt es Craniosakral-Therapie –, flötete sie: »Das ist echt! So! Genial! Dass ich diese unglaubliche! Arbeit! Tun darf!«
Nachdem ich meinen Koffer ausgepackt hatte, ging ich nach unten. Die Sonne versank hinter dem Horizont, und Jessica saß am Verandatisch und schrieb etwas in ein Spiralheft. Ich setzte mich ihr gegenüber, und wir starrten beide auf die immer dunkler werdenden Reisfelder. Und sperrten die Ohren auf.
In einem Pavillon inmitten der Reisfelder probte ein Gamelan-Orchester. Nur Frauen, sagte Jessica. Sie produzieren einen phantastischen Klang – manchmal denkt man an ein in der Luft aufgespanntes, zartes silbriges Netz, und in der nächsten Minute an einen Slam Dance mittelalterlicher Ritter in ihren Rüstungen. Ich wette, man hört sie im ganzen Dorf. Mein erster Freund nach der Highschool – der, der mein Tagebuch gelesen hat – sagte immer, Gamelan sei der transzendenteste und mystischste aller Musikstile. Er wollte, dass ich dem metallischen Klirren und Scheppern lauschte, als sei es der direkte Draht nach oben. Damals hörte ich die Musik in seiner verrauchten Bude, und es störte mich, dass es keine Melodie gab und sie an manchen Stellen plötzlich so laut wurde.
Aber in diese Umgebung hier, in diese dunkelgrüne Nacht, passt sie perfekt.
Jessica verschwand eine Weile im Haus, und als sie zurückkam, brachte sie einen Teller mit Reiskuchen, Tahin, Marmelade und Avocados mit. Ich wühlte in meiner Strohtasche und zog alle Hippie-Snacks hervor, die ich letzte Woche im Bioladen gekauft hatte: ungesalzene Mandeln, Soja-Cracker, Hanfsamen.
Und dann legte ich mit dem Mut von zehn Widerstandskämpfern die Bifis dazu, die ich vor ein paar Tagen nach meiner letzten Schicht im Pub eingesteckt hatte.
»Mich laust der Affe!«, rief Jessica.
Natürlich fing ich sofort an, die Schmuggelware in meine Tasche zurückzuschaufeln, weil ich annahm, Jessica sei Vegetarierin und brächte in der Gegenwart von Bifis keinen Bissen hinunter. Sie starrte mich aus ihren blauen Augen mit vor Abscheu gekräuselten Lippen an.
»Da sind Ameisen im Tahini!«
Sie schob die Schüssel zur Seite, und ich versuchte, mir das Lachen zu verkneifen. Ich hatte noch nie jemanden »mich laust der Affe« sagen hören, schon gar nicht wegen Tahini. Aber ich war irre erleichtert. Ich konnte mein Fleisch behalten. Ab heute Abend darf ich garantiert zwei Monate lang keine Tiere mehr essen. Wer weiß?
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