Bin Ich Schon Erleuchtet
gegeben. Und dann passierte etwas Schreckliches. Ohne nachzudenken, verkündete ich lauthals: »Und übrigens habe ich Angst vor dem Tod.«
Allgemeines Verstummen. Ich spürte, wie sich die Miniwasserhähne in meinen Poren öffneten. Dann blickte mir Indra tief in die Augen, und ich hörte auf zu schwitzen. »Das haben wir alle. Deshalb sind wir hier. Gut für dich, Suzanne.« Und dann machten wir weiter.
Ich hatte also gleich das Gefühl, dass es richtig gewesen war herzukommen und meine Gedanken zu ordnen, bevor ich nach New York umzog. Vielleicht, dachte ich, ist es diese Form von Sicherheit und Verständnis, die Menschen in einer Therapie suchen. Und gerade als ich vor lauter Erleichterung und Glück schon fast unter der Decke schwebte, kündigte Indra an, sie werde jetzt ein paar Worte zu den Gesundheitsvorkehrungen auf Bali sagen.
»Trinkt hier kein Wasser«, warnte sie. Wir lachten. Hey, das weiß man doch, oder? Wissen wir nicht alle, dass man das Wasser in Entwicklungsländern nicht trinken darf?
Gut. Indra sagt, wenn man sich zwei Monate in einem Land aufhält, ist es irgendwann fast unvermeidlich, dass man dort Wasser trinkt. Frühmorgens zum Beispiel, wenn man sehr müde ist, kann es passieren, dass man die Zahnbürste unter den Wasserhahn hält. Oder man singt in der Dusche und merkt nicht, dass einem das Wasser übers Gesicht und in den offenen Mund läuft. Gib diesem Wasser etwas Zeit in der Petrischale deines Magens, und voilà: Du hast den Bali-Bauch.
Und dieser Bali-Bauch ist eine richtig widerliche Geschichte. Er ist nämlich ein anderes Wort für Amöbenruhr, genau wie Montezumas Rache oder Delhi-Bauch, aber laut Indra ist die Bali-Variante gegen Ende besonders grässlich. Denn nachdem man mehrere Tage auf dem Klo verbracht hat, kommen die Giftstoffe zum Schluss aus der Zunge raus.
Und ich hasse es, wenn Giftstoffe irgendwo aus mir rauskommen. Das kann ich gar nicht leiden.
Dieser toxische Belag auf der Zunge ist erst grünlich wie Schleim und wird dann grau, als würde sich der Schleim in deinem Mund zersetzen. Und dann, wenn du schon gefährlich dehydriert bist, wird die Zunge schwarz.
Kaum hatte sie das ausgesprochen, fielen mir Umberto Ecos Der Name der Rose und diese vergifteten Priester mit ihren schwarzen Zungen ein. Ich stellte mir meine Mit-Yogis vor, auf dem Boden des Wantilan ausgestreckt, mit aufgesperrten Mündern, aus denen eine tintenschwarze Flüssigkeit hervorspritzt. Und schon war ich wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet.
»Aber keine Sorge«, beschwichtigte Indra. »Macht euch bitte keine Sorge. Es ist wirklich ganz einfach, den Bali-Bauch zu vermeiden, und ihr müsst nicht mal Antibiotika nehmen. Ich hatte noch nie Probleme mit dem Bali-Bauch oder einer schwarzen Zunge – weil ich mein Pipi trinke.«
Super, denke ich. Keine Antibiotika, alles wird gut. Dann: He, stopp mal.
In diesem Augenblick verwandelte sich der Wantilan in ein Karussell, das immer schneller durch die Reisfelder wirbelt.
»Leute«, sagte Lou, »ich weiß, das klingt für euch seltsam, aber die Urin-Therapie ist in der nichtwestlichen Welt weit verbreitet. Sie ist eine natürliche Methode, Alter und Krankheiten zu bekämpfen …«
»Und ganz toll als Gesichtswasser«, fügte Indra hinzu.
Lou rubbelte hektisch seinen Nacken. Es schien ihn anzuöden, dass er uns die Zusammenhänge erklären musste. »Urin ist sehr rein. Es hat einen schlechten Ruf als Abfallprodukt. Aber Harnstoff« – er seufzte tief – »ist ein großartiger Toxin-Killer.«
Dann informierte uns Indra, dass Urin Menschen schon von allem Möglichen geheilt hätte, von Akne bis Aids. Die Menschen trinken Urin, und dann sagen sie Lebewohl. Zu ihrem Aids.
Verrückt, klar. Aber ich dachte nur: Ist es das wert ?
Indra redete immer noch. Diesen Vortrag hatte sie bestimmt schon mehr als einmal gehalten: »Trinkt heute vor dem Schlafengehen ein Glas Wasser. Sauberes Wasser natürlich! Und morgen früh nach dem Aufstehen geht ihr in die Küche und holt ein großes Glas. Das Glas sollte ungefähr 0,2 Liter fassen.«
Ich weiß von meinem Beruf als Cocktail-Kellnerin, dass 0,2 Liter etwa vier doppelte Schnäpse sind. Mit diesem Wissen schlug sich mein Verstand mehrere düstere Minuten lang herum.
»Nehmt dieses Glas mit ins Badezimmer und pinkelt hinein«, fuhr Indra fort, »und achtet darauf, den Mittelstrahl aufzufangen, wie beim Arzt. Und dann – trinkt.« Sie rieb sich die Hände, als käme sie jetzt zum Höhepunkt
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