Bin Ich Schon Erleuchtet
durchzuhalten, und manche der Orte, an denen ich pinkeln musste, haben mir jeden Durst ausgetrieben. Wenn du weißt, was ich meine.«
»Dann hast du dir wahrscheinlich in einer dieser Pausen deinen Parasiten geholt!«, sagte Jessica.
Mich überlief ein Schauer.
Lara sah mich mitleidig an. »Dann hast du’s noch nie probiert?«
»Nö. Hatte vorher noch nie davon gehört.«
Jason meldete sich zu Wort. »Hört mal zu, was Indra gestern zu mir gesagt hat. Wenn es Krebs ist, hat sie gemeint, dann soll ich nicht nach Hause fahren. Ich soll lieber Urinfasten. Ich müsste nur acht Tage lang nichts anderes als meinen eigenen Urin trinken, und am Ende« – er schnipste mit den Fingern – »ist er weg. Einfach so.«
Jessica zitterte vor Begeisterung. »Das solltest du trotzdem machen, Jason«, sagte sie. »Du glaubst nicht, wie toll du dich anschließend fühlst!« Sie strahlte Jason an, und ihre Augen leuchteten. Sie ließ die Arme wie eine Wäschetrommel kreiseln. »Gib es in den Zyklus.«
Die Leidenschaft für Zyklen ist mir an Jessica schon früher aufgefallen. Sie liebt Zyklen. Ununterbrochen geht es bei ihr um Mondzyklen, Lebenszyklen, seelische Zyklen. Und sogar ihr Pissetrinken ist zyklisch. Oder eher re-zyklisch. Sie trinkt ihr Pipi nicht nur wie die anderen auf nüchternen Magen. Nein. Den ganzen Tag über recycelt sie. Jeden Tag steht sie früh morgens in der Dusche und pinkelt in ihren gigantischen Starbucks-Becher. Vor dem Unterricht nimmt sie kleine Schlucke daraus. Und wenn sie das nächste Mal dem Ruf der Natur folgt, wiederholt sie die Prozedur. Auf diese Weise recycelt sie ihr Pipi fortwährend. Sie spült nicht einen Tropfen ins Klo.
»Ich bin so froh, dass es nur ein Parasit ist«, sagte ich. Lara und Jessica blickten mich traurig an. Ich bin eine Enttäuschung für sie. »Tut mir leid, Leute«, fuhr ich fort. »Ich bin wahrscheinlich einfach ein Hasenfuß, wenn es darum geht, meine eigenen Körpersäfte zu trinken. Blut mag ich auch nicht besonders.«
Es stellt sich heraus, dass Indras Behandlungsmethode für Parasiten sich nur unwesentlich von der für Krebs unterscheidet. Nur darf Jason jetzt auch Obst und Gemüse essen.
2. März
Ich sitze auf der Veranda am Tisch und warte darauf, dass Jessica den Becher des Grauens geleert hat, damit wir zusammen zum Unterricht gehen können. Ehrlich gesagt, würde ich lieber hierbleiben. Aber ich übe Zufriedenheit. Jetzt muss nur noch die Wirkung einsetzen.
Im Kurs fühle ich mich wie ein Fleischklumpen. Nichts läuft, wie es soll. Ich bin nicht so stark oder beweglich wie meine Mit-Yogis. Ich habe keinen Muskeltonus. Bei jeder Standübung fange ich an zu zittern. Ich sehe mir Laras und Jasons Arme an, mit denen sie sich in den Handstand hieven, und fühle mich so minderwertig wie eine blutarme, schwindsüchtig keuchende Romanheldin aus dem 19. Jahrhundert.
Lou kam gestern zu meiner Matte und war so gekränkt, dass man hätte meinen können, ich würde absichtlich zittern.
»Sieh dir dein Knie an«, sagte er. »Sieh’s dir an.«
Also starrte ich es aufmerksam an und sah nichts.
»Dein Knie!«, blaffte er. Er packte das Knie und korrigierte es. »Bei dieser Haltung sollte es immer einen Winkel von neunzig Grad aufweisen. Bei deinem sind es eher fünfundvierzig Grad, und es ist nach innen gedreht, weil du dich nicht richtig abstützt.«
Ich ächzte. »Ich habe keine Muskeln, Lou.«
»Tja, auf die Art wirst du auch keine bekommen.«
Als ich mich ein paar Minuten später in der Kindesstellung entspannte, WEIL ICH VOR ERSCHÖPFUNG FAST DRAUFGING, blieb Lou neben meiner Matte stehen und sagte: »Atme ein paarmal tief durch und nimm die Stellung wieder ein.«
Wo sind wir hier, bei der Army?
Es gibt allerdings eine Stellung, die ich fabelhaft beherrsche: die Totenstellung. Ich liebe sie. Ich liebe jede Übung, bei der man auf dem Rücken liegt und sich tot stellt. Lou sagt, sie liegt mir besonders. Ha ha.
Wir lagen heute in der Totenstellung im Wantilan, als mir ein Geräusch in die Ohren drang, während ich zwischendurch immer wieder wegdämmerte. Es war eine Art Summen und kam aus den Reisfeldern. Es klang, als würde jemand ununterbrochen seine Harley Davidson aufheulen lassen. Ich brauche einen Moment, bis ich merkte, dass es eine Kettensäge war.
Lou forderte uns auf, uns hinzusetzen, damit Indra mit uns eine geführte Meditation machen konnte. Wir wurden also wieder lebendig und fingen an zu meditieren, aber ich musste mich
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