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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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unwillkürlich nach der Quelle des Geräuschs umsehen.
    »Augen zu, mein Pflänzchen«, sagte Indra und zwinkerte mir zu. Schnell klappte ich die Lider zu und versuchte, entrückt auszusehen. Indras Meditation begann mit der üblichen Konzentration auf den Atem, und nachdem wir ein paar Minuten auf den Herzschlag gelauscht hatten und dergleichen mehr, sagte sie etwas, das direkt an mich gerichtet war: »Manchmal lässt man sich während einer Meditation leicht von Geräuschen und Bewegungen in der Umgebung ablenken.«
    Ich hätte fast laut losgelacht, denn genau in diesem Moment röhrte die Kettensäge los, einmal, und dann noch mal in einem schrillen Kreischton, als wollte sie sagen: Abgelenkt? Davon?
    Wir sollten uns vorstellen, dass die Kettensäge nicht außerhalb des Wantilan kreischte, sondern im tiefsten Inneren unseres eigenen Körpers.
    Die Kettensäge klang jetzt, als wäre sie ganz nahe am Wantilan. Ich musste an den Film Das Kettensägenmassaker denken, und da kam das Geräusch definitiv nicht von innen. Sondern von Leatherface. Mit einem Ohr hörte ich Indra zu, die leise darlegte, dass wir zwar unsere Umgebung nicht kontrollieren können – »Wir können den Wantilan mieten, aber wir haben keine Kontrolle über die Balinesen, die mehr Bungalows bauen müssen, und auch keine Kontrolle über den Tigerstaat!« –, unsere Reaktionen jedoch beherrschen können, wenn wir unseren Geist disziplinieren.
    »Stellen wir uns einen Moment lang vor, dass die Kettensäge nicht von einem Arbeiter gehalten wird, der ein Stück Holz absägt. Ihr selbst haltet sie, und ihr sägt damit eure … quälenden Gedanken ab … eure Sorgen, eure Ängste. Dieses unglaublich störende Geräusch ist in Wirklichkeit die eigene innere Hand, die eure Energie herausschält, die die groben Äste der Anhaftung entfernt, welche eure Chakren verdecken, ihr Licht blockieren und euer transzendentales Potential ersticken.«
    Wie bitte? Was quasselte sie da? Na gut, ich stellte mir also Leatherface vor, der auf dem Boden meiner inneren Landschaft hockte (die merkwürdigerweise einer russischen Gefängniszelle ähnelte) und an meinem Ebenbild herumsägte, das Angst vor der Zukunft hatte und sich für die Vergangenheit schämte. Meine furchtsame Doppelgängerin.
    »Und wenn ein Chakra nach dem anderen von dem Holz der Anhaftung und den Ästen der Unentschlossenheit und Dysfunktion befreit wird, fühlst du dich leichter …«
    Leatherface hackte gerade meiner Doppelgängerin Arme und Beine ab.
    »Du fühlst dich glücklicher, heiterer …«
    Die abgetrennten Gliedmaßen meiner Doppelgängerin plumpsten auf den Boden meiner inneren russischen Zelle. Aus den Stümpfen sprudelte preiselbeerfarbenes Blut.
    »Du fühlst dich näher an der Vereinigung mit der unteilbaren Ganzheit des Lebens, dem großen Selbst …«
    Plötzlich trat eine andere Version von mir in die Zelle. Mutig, angepisst, mit einer Halbautomatik-Waffe im Anschlag: meine draufgängerische Tripelgängerin. Sie richtete die Waffe auf Leatherface, der knurrend die wulstigen Lippen aufstülpte, von denen Speichel troff, die Kettensäge in ihre Richtung hob und sie aufheulen ließ.
    Willst du dich mit der hier anlegen, du kranker Dreckskerl? , fragte meine Tripelgängerin und schwenkte ihre Waffe. Soll ich dir eine verpassen? Und gerade als Leatherface mit erhobener Kettensäge auf sie zustürzte, schoss meine Tripelgängerin eine Salve auf ihn ab. Ich sah zu, wie Leatherface in Zeitlupe gegen die Wand geschleudert wurde, als die Kugeln in seinen Körper eindrangen, sich dann zitternd zusammenkrümmte und auf den Boden sackte, wo er noch ein paarmal zuckte, bevor er reglos liegen blieb. Die Kettensäge jaulte weiter, und ihr Kreischen hallte von den kalten Zementwänden der Gulag-Zelle wider wie ein Wehklagen.
    Dann erinnerte ich mich an meine Chakren. Ich stellte mir vor, wie meine Tripelgängerin die immer noch kreischende Kettensäge aufhob und die Äste um die Chakren herum abtrennte. Ich weiß, dass Chakren Energiezentren sind, aber mir fiel nicht mehr ein, wie viele ich hatte und wo in meinem Körper sie waren, deshalb musste sich meine Tripelgängerin durch eine Art Blätterdickicht sägen, das um ein halbes Dutzend bunter Glühbirnen herum wucherte.
    Dann ging ich zu meiner Doppelgängerin zurück. Sie war noch nicht tot. Und obwohl sie, genau genommen, diejenige war, die mich in meiner Entwicklung bremste, sah ich ruhig zu, wie meine Tripelgängerin die abgetrennten

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