Bin Ich Schon Erleuchtet

reagierte sie, als hätte ich ihr Rohöl direkt aus dem Fass angeboten. »Petroleum«, stieß sie entsetzt hervor und kräuselte angeekelt die Lippen. Meine Lippen sind eindeutig nicht naturbelassen.
    Wir verbringen sechs bis acht Stunden täglich mit Dehnübungen, Ausfallschritten und Rückwärtsbeugen im Wantilan. Da er mitten in den Reisfeldern steht, schwirren eine Menge Insekten herum, und wir schwitzen kräftig. Über die Dachsparren laufen Geckos, die ab und zu kleine weiche Kackekügelchen auf unsere Matten fallen lassen. Es wird viel geweint. Nicht wegen der Geckokacke, obwohl ich kurz davor bin, wenn mich noch eine Ladung trifft. Nein, sie weinen, weil wir – wie Indra sagt – in unserem Körper geheime Reservoirs an unterdrückten Gefühlen und Traumata haben und die komplexen Yoga-Stellungen dazu dienen, sie hervorzuholen, damit sie sich auflösen können und wir hinterher geläutert sind.
    Nach der ersten Yoga-Klasse vor ein paar Tagen ging ich ins Internetcafé – es heißt Ubud Roi, was meinen inneren Theaterfreak sehr glücklich machte – und schickte Mails an meine Familie und an Jonah. Inzwischen bereue ich das schwer. Sie denken sowieso, ich bin plemplem, weil ich hierher wollte, wo ich doch gleich mit Jonah nach New York hätte umziehen können.
    Oh Gott, bin ich etwa hier, weil ich meinen Umzug nach New York hinausschieben will?
    Nein. Ich weiß, warum ich hier bin. Und ich bleibe.
    Okay. Ich schrieb also eine hastige SOS-Mail an die Familie, die sinngemäß so lautete: HILFE. ICH BIN AUF EINER INSEL UNTER PISSETRINKERN GESTRANDET. (Warum, ach, warum muss ich meiner Familie immer alles offenbaren? Warum kann ich ihnen nicht einfach irgendetwas über die Tempel und die Gamelan-Musik mailen und sie auf den ewigen Sonnenschein neidisch machen? Warum muss ich mich so entblößen?)
    Heute ging ich wieder ins Ubud Roi und hatte drei neue Nachrichten.
    Meine Schwester: Das ist saukomisch, essen die auch ihre eigene Scheiße?
    Meine Mutter: Um Himmels willen, Suzanne Marie, warum musstest du dir auch eine Person als Lehrerin aussuchen, die so töricht ist, ihren eigenen Urin zu trinken? Ich habe mit Dr. Randelkin darüber gesprochen und er sagt, Urin ist ein Abfallprodukt, Herzchen, und kein Getränk!!
    Mein Vater: Lass das bloß sein! Alles Liebe, Pop.

    Nichts von Jonah. Er zieht erst in ungefähr sechs Wochen um, aber er hat sicher schon eine Menge um die Ohren.
    Ich werde das Niyama der Zufriedenheit üben. Samtosha . Man übt, zufrieden zu sein. Alle hier reden andauernd darüber, dauernd heißt es Samtosha -dies und Samtosha -jenes, und deshalb lächeln die Yogis auch immer, selbst wenn sie durch Ubud spazieren und zu den dreitausend Taxifahrern, die sie die fünf Kilometer nach Hause fahren wollen, nein sagen müssen.

28. Februar
    In einem Yoga-Camp nennt man Buße Karma-Yoga. Man arbeitet im Haus, um sich von den Sünden der Vergangenheit zu befreien und die Götter zu erfreuen, die für die Wiedergeburt zuständig sind. Fleißig Karma-Yoga üben bedeutet, dass man das nächste Leben nicht auf der niedrigsten Existenzebene verbringt, sagen wir mal als Kakerlake oder Reality-TV-Star. Das ist ein cleverer Trick, mit dem man Leute dazu bringt, Kloschüsseln zu schrubben und schwere Sachen zu heben. Wir praktizieren es jeden Morgen im Wantilan, wenn wir die Gamelan-Instrumente der Frauen auf die Seite stellen, damit wir auf dem Boden Platz für unsere Matten haben. Es ist eine spirituelle Anstrengung, wenn man das so will. Aber ich kann nicht recht begreifen, warum das Herumschieben eines tonnenschweren Xylophons meine Seele zum Singen bringen soll. Vorläufig schwitze ich nur.
    Gelegentlich stößt jemand gegen eines der Instrumente, und es vibriert ein paar Minuten lang und gibt ein dunkles, metallisches Surren von sich. Wenn das passiert, muss ich immer an den Palindrom-Song der Band Soundgarden denken, den ich in meiner Jugend in Seattle hörte: Satan, oscillate my metallic sonatas . Wenn es einen Gott gibt, sagt er bestimmt: Also hör mal, Suzanne! So willst du mir Freude machen? Im Ernst?

    Der balinesische Hinduismus kennt viele Yoga-Praktiken, aber nicht die Art von Yoga, die wir praktizieren. Hier hält man sich an Bhakti-Yoga, den Yoga der Hingabe – keine Übungen, nur viele Rituale, die dazu dienen, Gott zu preisen. Das, was wir Katholiken eine »Glocken-und-Weihrauch-Religion« nennen.
    Jeden Morgen sitze ich, während Jessica am Rand der Veranda ihre Trinkmeditation