Bin Ich Schon Erleuchtet
können.
Ich schickte Jonah eine entsprechende Mail, und er reagierte sofort, als wäre es ein Witz. Aber ein Teil von mir meint es ernst. Jonah sagt, ich soll ihn einen Schritt nach dem anderen machen lassen.
4. März
Jala Neti : die Kunst, Rotz aus der Nase zu spülen. Saubere Nasengänge sind hier eine Riesensache, deshalb habe ich mich heute früh an meine höchstpersönliche Jala-Neti-Prozedur gewagt. Ich hab’s mit knapper Not überlebt, ehrlich.
Jason und Lara kümmern sich sehr lieb um Jessica und mich, wie ältere Geschwister, und haben mir ihre Hilfe angeboten. Sie nahmen mich in ihr Badezimmer mit, das praktisch genauso aussieht wie unseres. Dort hatten sie bereits ein kleines Plastikkännchen mit Salzwasser gefüllt. Sie sprachen einen komischen Segen über dem Kännchen (»lass Suzannes Nase wissen, was von unseren Nasen gewusst wird, Namaste«) und sahen dann wohlwollend und erwartungsvoll wie Taufpaten zu, wie ich das Neti-Kännchen aus Laras Händen in Empfang nahm und so tat, als wüsste ich, was ich zu tun hatte.
Aber ich bin so ein Trampel – als Jason auf einmal anfing, »reinige diese Nase, reinige diese Nase« zu chanten, musste ich losprusten, obwohl ich gerade mit seitlich geneigtem Kopf die Tülle ins Nasenloch eingeführt hatte. Und anscheinend lache ich durch die Nase, denn der Ansaugeffekt meiner Lachsalven wirkte wie ein Vakuum auf das Plastikkännchen, und ich zog das Zeug hoch wie ein grunzendes Erdferkel. Das Salzwasser schoss direkt zu meinem dritten Auge, und mich durchfuhr ein Erinnerungsblitz, wie ich einmal von meinem älteren Bruder im Pool getaucht worden war. Ich schniefte und lachte und heulte, alles gleichzeitig. Lara drückte ein Handtuch gegen meine Nase. »Atme«, kicherte sie. Jason lachte sich halbtot und musste sich auf den Badewannenrand setzen.
»Da … da …«. Er holte tief Luft und wischte sich ächzend die Augen. »Das passiert allen Neulingen.« Er fing wieder an zu gackern. »Aber ich habe noch nie gesehen, dass jemand so viel Wasser aus der Nase gesprüht hat wie du eben.«
Ich finde eigentlich meine Nase völlig okay, so wie sie ist.
Jetzt sitze ich hier mit einem schwammigen Gefühl in den Nebenhöhlen. Mein Kopf ist voller Wasser. Und ich denke mir, das ist der Grund, warum wir unsere physischen Körper transzendieren müssen. Weil einen der Körper endlos nervt.
Später
Ich liege zwischen den Unterrichtsstunden auf dem Bett, vollgeschmiert mit kribbeligem Arnika-Gel und Tiger-Balsam. Sämtliche Muskeln in meinem Körper haben heute was gegen mich. Wenn ich mich hinsetze, brummele ich vor Schmerzen wie mein Großvater. Ich wünschte, Jonah wäre hier und würde mir die Schultern massieren. Obwohl das wahrscheinlich unrealistisch ist. Nicht, dass ich Jonah gerne hier hätte, sondern dass er bereit wäre, mir die Schultern zu massieren. Ich bin ein Knuddel-Junkie, und das macht Jonah wahnsinnig. Aber was kann ich dafür? Ich bin in einer Familie von Knuddel-Junkies aufgewachsen. In meiner Familie kann man nicht auseinandergehen, ohne sich mindestens dreimal umarmt zu haben. Selbst wenn man sich am nächsten Tag gleich wieder trifft.
Ich bin gerade mal seit einer Woche hier, und schon habe ich ein akutes Knuddel-Defizit.
Ich tue alles, um eine gute Yogini zu sein. Ich lese meine heiligen Texte. Na gut – ich lese Die Autobiographie eines Yogi , weil da von vielen großen Hindu-Heiligen erzählt wird, die in der Luft schweben und unter der Erde atmen können. Ich liebe Yogananda, den Autor. Er ist lustig und rund und isst gerne Süßigkeiten. Ich wünschte, er wäre hier. Er würde sicher verstehen, warum meine Gehmeditation so gar nicht klappt. Außerdem sieht er richtig niedlich aus.
Ich übe Zufriedenheit, was bedeutet, dass ich jedem schlechten Gedanken, den ich denke, einen guten entgegenhalte. Heute zum Beispiel dachte ich: Ich möchte Louise hauen . Und dann dachte ich: Ich liebe Louise.
Ach, Louise.
Nur sechs von uns werden an dem gesamten Retreat teilnehmen. In diesem Monat kommen immer wieder Leute für die eine oder andere Woche dazu. Und so kam auch Louise. Sie nimmt am Burning-Man-Festival teil. Das hat sie sofort verkündet, als sei das ein Geheimsignal oder so was. Sie ist Anfang vierzig, hat aber diese ewig junge »Ich-bin-doch-immer-noch-zwanzig«-Tour drauf. Die rot gefärbten Haare hat sie zu einem stacheligen Pixie-Cut gestylt, und dazu trägt sie violette Klamotten und tonnenweise Halbedelsteine.
Louise ist eine
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