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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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haben. Aber jetzt hat die Gamelan-Musik der Frauen eingesetzt, und meine Yoga-Freunde schreiten gemessen durch den Schatten aus der Tür hinaus.
    Wir sehen uns dann drüben.

Später
    Hätte ich mit zehn ein Baumhaus gemalt, hätte es im Vergleich zu dem von Lou und Indra erbärmlich phantasielos ausgesehen. Sie leben am Waldrand am Ende einer von Bungalows gesäumten Sackgasse in einem ziemlich versteckten Winkel des Dorfs. Wir konnten das Gamelan-Orchester noch hören, als wir aus dem Auto ausstiegen, aber als Begleitmusik kreischten Affen, die offensichtlich hinter dem Haus hockten.
    Ihr Bungalow ist mit unserem nicht vergleichbar. Wenn unser Haus eine Minivilla ist, dann ist ihres eine Kreuzung zwischen Harem und Baumpalast. Nur die Küche und die Schlafzimmer haben Decken. Mitten im Haus wachsen hohe Bäume, deren glänzende, gelbgrüne Blätter ein natürliches Dach bilden. Durch das Blattwerk hindurch sieht man den Abendhimmel.
    Violette und burgunderrote Gazevorhänge bauschen sich in den Türrahmen im Mittelgang. Kerzen in Reispapierlaternen erleuchten uns den Weg durch diese innerhäusliche Hauptstraße, die auch nicht überdacht ist. Ketut führte uns ins Wohnzimmer, in dem man sich wie auf einem großen Schiffsdeck fühlt, das in ein dunkelgrünes Meer hineinragt.
    Das Reinigungsritual wurde von Noadhi, einem kleinen siebzigjährigen Balinesen, durchgeführt, den Lou als Balian bezeichnete. Baliane sind Heiler und Gelehrte im balinesischen Hinduismus und die wichtigsten Leute auf dieser von lästigen Geistern heimgesuchten Insel. Man könnte sagen, Noadhi ist eine Kreuzung zwischen Priester und Kammerjäger.
    Noadhi machte sich an einem improvisierten Altar mitten auf dem Balkon zu schaffen. Er breitete Früchte und Blumen, Zigaretten und Kuchen aus, mit denen er den Geist aus dem Mixer hervorlocken wollte. Vier rote Kerzen warteten am Rand des Altars darauf, angezündet zu werden, und eine hohe Glasflasche mit einer öligen Flüssigkeit stand rechts vom Mixer. Ich bekam einen trockenen Mund, als ich darüber nachdachte, was wohl in der Flasche war und was sie damit anstellen würden. Ich hoffte, dass dieses ölige, orangefarbene Zeug eine Art heiliges Wasser war – man gibt ein paar Eiswürfel dazu, mixt kräftig, und schon hat man ein gespensterfreies Küchengerät. Nur bitte bitte nicht trinken!
    Lou lungerte ganz in Weiß mit einem passenden Stirnband neben dem Altar herum. Jason, Lara und Jessica steuerten sofort auf ihn zu. Ich trödelte, bis ich eine Stimme aus einer schattigen Ecke des Balkons hörte. Indra rief mich zu sich.
    Außerhalb des Wantilan ist Indra anders. Entspannter. Irgendwie glamouröser. Sie kam mir vor wie eine Schauspielerin, die einen Empfang gibt. Ihre dunkelblonden Haare flossen ihr wie ein Wasserfall über den Rücken. Sie trug einen silbervioletten Seidensarong und hatte sich eine weiße Blüte hinters Ohr gesteckt. Als Lara und Jessica über einen Witz von Jason laut lachten, setzte sich Indra auf und sagte im Bühnenflüsterton: »Pssst, Yogis. Wir sprechen hier mit unserer Wohlfühlstimme.«
    Ihre Wortwahl war mir etwas peinlich, aber meine Mit-Yogis waren gebührend zerknirscht und setzen sich brav vor den Altar. Indra wandte sich mir zu und fragte, wie es mir ginge.
    Ich weiß nicht, wie sie das macht, auf jeden Fall ist das ihre größte Stärke: Sie muss mir nur eine simple Frage stellen, und schon platzt sozusagen mein Schädel auf und sein Inhalt ergießt sich auf ihren Schoß. Indra fragte nur: »Wie geht es dir, Suzanne?«, und ich plapperte drauflos, von Jonah und unseren Plänen, gemeinsam in New York zu leben, von meinen Großeltern und meiner Schwester und wie bedrückt und schuldig ich mich fühle, weil ich von ihnen wegziehe. Ich erzählte ihr, dass ich Veränderungen suchte und gleichzeitig fürchtete. Ich erzählte ihr, was ich getan und was ich versäumt hatte.
    Und dann entschlüpfte mir etwas, das mir selbst neu war. Ich sagte: »Ich weiß nicht mal, ob ich mit Jonah in New York zusammenleben will.«
    Es war so still auf dem Balkon, dass ich nur meine eigene Stimme hörte. Ich warf einen Blick zum Altar hinüber, um mich zu vergewissern, dass niemand lauschte; glücklicherweise meditierten meine Yoga-Freunde gerade mit Lou.
    Nach einer kurzen Pause sagte Indra: »Wir haben viel gemeinsam, Suzanne.«
    »Ja?«
    Sie nickte stumm. Lou und meine Yoga-Freunde begannen zu chanten, und ihr Gesang schwebte bis zu unserer Seite des Balkons herüber. Ich

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