Bin Ich Schon Erleuchtet
auch – inspirierend.
Bevor wir gingen, fragte ich nach der Toilette und schlich am Schlafzimmer und an der Küche vorbei, weil ich unbedingt einen Blick hineinwerfen, aber nicht herumschnüffeln wollte. Das Badezimmer ist ebenso kurios wie der Rest des Hauses. Der Fußboden um die Toilette und die Dusche herum besteht aus einer losen Ansammlung von Flusssteinen. Das Klo hat kein Dach, und ich konnte beim Pinkeln die Sterne sehen. Beim Händewaschen konnte ich dem Impuls nicht widerstehen, mich ein bisschen umzusehen. Ich linste ausgiebig in Indras Kosmetikbeutel und erkannte, ohne etwas anzufassen, Mascara, Eyeliner, Lipgloss und Lippenstifte. Sie hat genauso viele organische und »naturbelassene« Kosmetikprodukte wie Jessica. Hinten auf der Ablage, zwischen einem kratzigen olivgrünen Beutel und einem ovalen Spiegel stand eine gelbe Minireisekerze. Ich nahm sie in die Hand und roch an ihr; sie roch wie Indra, nach frischer Zitrone und etwas Würzigem wie Nelke. Ich drehte sie um, weil ich wissen wollte, wie sie hieß. Da stand: »Renaissance Woman«.
3.
Der Leib, der elektrische
O ich sage, dies sind nicht allein Teile und Gedichte des Leibes, sondern der Seele,
O jetzt sage ich: diese sind die Seele!
Walt Whitman, I sing the Body Electric
Hast du je neben einem Trommelkreis gestanden und dir heimlich gewünscht mitzutrommeln? Anstand und ironische Distanz über Bord zu werfen und schweißüberströmt den Edlen Wilden zu spielen?
Jep. Ich auch nicht. Trommelkreise haben so was Angestrengtes. Und Verschwitztes. Trommelkreise sind wahrscheinlich das einzige Ritual, in das ich mich noch nie einklinken wollte. Ansonsten liebe ich Rituale, sogar Hochzeitsansprachen. Ich liebe sie, weil sie einen Zeitpunkt hervorheben, weil sie uns die Möglichkeit geben, laut auszusprechen, dass uns dieser Moment etwas bedeutet. Dass wir uns an ihn erinnern müssen. Die Worte und die choreographierten Gesten ziehen uns vom Rand des großen Lochs zurück und betonen, dass das Leben, das ganze Leben, eine Bedeutung hat.
Ich habe, glaube ich, viel Zeit damit verbracht, das perfekte Ritual zu finden. Als Kind liebte ich die komplexen Rituale, die meine beste Freundin und ich erfunden hatten, um Maria, der jungfräulichen Königin der Babypuppen, zu huldigen. Als Teenager trieb mich der Gedanke um, dass ich nicht gleichzeitig Katholikin und Feministin sein konnte, und so sang ich in einem presbyterianischen Chor, weil ich hoffte, dass die Protestanten – die Kirche meines Vaters – mir etwas zu bieten hätten. Das ging nicht lange gut, einfach weil es nicht genügend fesselnde Rituale gab. Alles an den Presbyterianern war praktisch und pragmatisch, ihr Jesus kam mir vor wie der gute Kumpel von nebenan und nicht wie der Gott-Mensch, der übers Wasser schreiten kann. Einem Ritual am nächsten kamen noch die Stunden, die man mit dem coolen Jugendleiter zusammenhockte, darüber redete, was für ein cooler Typ Jesus doch war, und schließlich verwandelte ich mich selbst in eine coole Schüssel Einheitsbrei, was meine Mutter zu der Äußerung veranlasste: »Um Himmels willen, Suzie, hör auf mit diesem ›Jesus war total cool‹! Du klingst wie eine von diesen dummen Puten aus Kalifornien.« Als dann noch die Presbyter-Mädchen im Weihnachtskonzert alle guten Soloparts abkriegten, beendete ich mein protestantisches Experiment.
Ich wuchs in einem jüdischen Viertel auf, und in der Siebten verbrachte ich mehr Zeit in der Synagoge als je wieder in einer Kirche. Manchmal verzog ich mich in das Badezimmer meiner Mutter und tat so, als hätte ich Bar-Mizwa. Ich rezitierte Passagen aus der Thora, wie ich es von meinen Freundinnen kannte. Ich wäre auch gerne Jüdin gewesen. Meine jüdischen Freunde hatten alles: schöne Rituale in einer exotischen Sprache, eine altehrwürdige Vergangenheit, Verwandte in New York. Und ein paar von ihnen, nämlich die aus der reformierten Gemeinde, konnten sich sogar auf Sex vor der Ehe freuen, ohne Angst vor der Hölle haben zu müssen.
Aber immer, wenn jemand von Gott oder der Existenz Gottes anfing, schüttelte ich den Kopf. Das war meines Wissens die korrekte Reaktion. Was nicht bedeutet, dass ich Andacht nicht vortäuschen konnte. Ich habe einen Freund, der sich selbst als Judäo-Buddhisten oder JuBu bezeichnet – er geht in eine Synagoge, in der sie meditieren und Schalommmmmm chanten –, und als ich ihn fragte, wie sich für ihn der alttestamentarische Gott mit der Abwesenheit eines Höchsten
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