Bin Ich Schon Erleuchtet
Großvater hatte mir bestätigt, dass meine Zweifel berechtigt waren, und mir gleichzeitig die Erlaubnis gegeben zu glauben.
Daran dachte ich, als ich nach dem Gespräch mit Indra unter meinen Mit-Yogis saß. Und ich denke immer noch oft daran, weil ich mich auf sehr seltsame Art erleichtert fühle.
Nicht überzeugt . Aber erleichtert.
9. März
Ich liebe die Kirche meiner Jugend. Ich liebe die Kirche meiner Jugend. Ich liebe die Kirche meiner Jugend.
Ich übe es, sie zu lieben. Samtosha!
Heute beschäftigte mich der Gedanke, dass ich bei allem Hass auf den Priester und seine Predigten auch ein paar Dinge am Katholizismus geliebt habe. Die Bhakti-Elemente. Das, was mir auch auf Bali gefällt: die Opfergaben, der Weihrauch, die Rituale.
Ich denke manchmal an Mikes Ordination. Sie fand in der St. James Cathedral in Seattle statt, vor ihrer Renovierung, als der Altar noch im Mittelschiff stand, nicht im Zentrum wie jetzt. Als ich klein war, gingen wir selten in die Kathedrale, aber wenn doch, stellte ich mir Geheimkammern hinter dem Altar und dem Tabernakel vor, Räume, in denen geheime Gegenstände und Bücher aufbewahrt wurden, vielleicht sogar geheime Menschen wie Opus Dei. In diesen Phantasieräumen befanden sich die heiligen Mysterien des Kosmos, und die glockenreinen Töne der gregorianischen Gesänge hingen in gläsernen Gespinsten wie ein Kraftfeld zwischen uns.
Die Messe zur Priesterweihe war lang und monoton. Man kriegte Hornhaut auf den Knien. Sämtliche Priester der Diözese waren gekommen, um Mike in die Bruderschaft aufzunehmen, und die Priester hatten während der Messe mehrere – ach was, Hunderte! Tausende! – Gelegenheiten, meinen Cousin im Altarraum zu segnen. Gegen Ende der Messe musste sich Mike mit dem Gesicht nach unten vor den Altar legen, und die Priester stellten sich um ihn herum. Es waren so viele, dass sie sich über die Treppen bis in die Seitenschiffe verteilten. Mike breitete die Arme aus wie Superman, wenn er gen Himmel fliegt.
Die Priester in ihren weißen Roben sahen aus wie gestrenge, in die Jahre gekommene Ministranten. Sie kreisten ihn mit ausgestreckten Armen ein, ihre Hände zeigten auf den hingestreckten Körper meines Cousins, und sie murmelten Gebete, die die Gemeinde nicht verstand. Oh ja, und die Gerüche waberten, und die Glocken läuteten, und ich zitterte vor Aufregung und Neid. Was wäre anders, wenn da oben am Altar auch Frauen stünden?, fragte ich mich. Ich zum Beispiel? Ich konnte nicht anders, ich wünschte mich an die Stelle meines Cousins, der jetzt Zugang zu all diesen geheimen Orten und Büchern erhalten würde. Ich wollte in ein Mysterium eingewiesen werden.
Der katholische Glaube basiert auf Geheimnissen: dem Geheimnis der Dreieinigkeit, dem Geheimnis der unbefleckten Empfängnis. Geheimnisse, wohin das Auge blickt. Das hat mir immer gefallen. Wenn ich schon eine Religion ausübe, dann sollte sie nicht allzu pragmatisch sein, damit ich nicht womöglich noch glaube, dass wir tatsächlich wissen, worüber wir reden. Warum? Weil ich, ehrlich gesagt, einfach nicht glauben kann, dass irgendjemand wirklich weiß, wer Gott ist, falls es ihn tatsächlich gibt.
Mike hat einmal einen Satz des heiligen Augustinus zitiert: Si comprehendis, non est Deus . Wenn du es verstehst, ist es nicht Gott. Damals in der Kirche stellte ich mir vor, wie ich an Stelle meines Cousins zum Ritter geschlagen würde, um die Geheimnisse des Lebens zu hüten, die man unter keinen Umständen verstehen, sondern nur durch ritualisierte Mysterien ausdrücken kann. Ich hatte keine Lust auf die Pflichten moderner Priester – Suppenküchen oder Kirchenrenovierungen oder Predigten über das Jenseits oder das Wesen Gottes. Nein – ich wollte ein Ritter sein.
Aber natürlich kann ich von der Kirche nicht erwarten, dass sie sich bei ihren Ritualen und dem, was sie ausdrücken sollen, nach mir richtet, oder? Und selbst wenn – sie will mich nicht. Geheimnis und Andacht gehören den Männern. Und die Vorstellung, mir die Haare abzuschneiden und Nonne zu werden, fand ich noch nie besonders sexy.
10. März
Heute früh haben uns Indra und Lou mitgeteilt, dass sie wegen eines häuslichen Problems den Nachmittagsunterricht ausfallen lassen. Keiner von beiden hat letzte Nacht viel Schlaf abgekriegt, weil gerade, als sie wegdämmerten, ein geisterhaftes Geräusch aus der Küche drang. Als sie aufstanden und nachsahen, entdeckten sie, dass ihr Mixer sich irgendwie selbst eingestöpselt
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