Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
Vom Netzwerk:
fühlte mich wie eine Figur aus dem Mahabharata , die eine Unterweisung von einem weltentrückten Weisen erhält. Oder von einem Gott, der einmal sterblich war.
    Indra hielt ihre grüne Tasse in beiden Händen und nippte daran. »Das Problem kann auftreten, wenn man etwas über eine lange Zeit hinweg tut. Bei der Familie bleibt, zum Beispiel. Je länger man bleibt, desto stärker glaubt man, dass die eigene Identität von den Menschen und Dingen um einen herum abhängt. Man sitzt in der Falle. Mir scheint, deine Angst rührt daher, dass du dich von deinem illusionären Selbstbild nicht lösen kannst. Du bist … wer eigentlich? Die brave Enkelin? Die Frau, die sich zwischen ihrem Freund und ihrer Familie nicht entscheiden kann? Deine Angst vor Veränderung ist nichts anderes als diese Angst vor dem Tod, die du am ersten Tag erwähnt hast.«
    »Und wie soll man mit alledem umgehen? Die Familie zurücklassen? Wenn man sie doch liebt.«
    »Übe das Sterben.«
    Ich lachte, aber sie meinte es ernst. Sie forderte mich auf, jede Veränderung zu begrüßen wie einen kleinen Tod. Ich solle mich einfach darauf einlassen, dass sich meine Welt verändert und neu zusammensetzt. Denn wenn ich Veränderungen annehmen kann, kann ich den Tod annehmen und das ist das Geheimnis der Befreiung.
    »Aber Indra«, wandte ich ein, »das klingt hart.«
    Indra lächelte und ihr Blick schweifte zu meinen singenden Yoga-Freunden am Altar. Sie schwieg lange und ich dachte schon, unser Gespräch sei zu Ende. Doch dann sprach sie sehr leise und sanft weiter, als hätten die Worte scharfe Kanten, an denen sie sich nicht verletzen wollte.
    Sie erzählte mir, dass sie einmal verheiratet war. »Vor langer Zeit. Und ich habe meinen Mann geliebt. Aber ich konnte das Gefühl, dass ich eigentlich weggehen sollte, nie abschütteln. Die Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft erschreckte mich. Ich wusste wohl, wenn ich blieb, würde ich nicht den Mut aufbringen, mich so zu verändern, wie ich mich verändern musste. Du weißt, wie Leute, die dich lieben, es hassen, wenn du dich veränderst?«
    Ich nickte.
    »Eines Tages – nach meinem allerersten Meditationskurs – habe ich es getan. Ich bin gegangen. Ich stieg ins Auto und fuhr quer durchs Land. Ließ das Haus zurück. Den Mann. Den Hund. Es war das Härteste, was ich je getan habe. Aber dann! Dann konnte ich wachsen . Ich konnte Gott finden. Bis ich Lou kennenlernte, lebte ich wie eine Nonne. Nur ich und Yoga.«
    Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, fühlte ich mich halb inspiriert und halb irritiert. Inspiriert, weil es wohl einen geheimen Teil von mir gibt, der gerne mein gesamtes Leben über die Klippe werfen und zusehen möchte, wie es in tausend Einzelteile zerspringt. Und irritiert, weil ich wusste, wie meine Familie reagieren würde. Oma würde sagen: Die Ehe ist kein Zuckerschlecken, man muss etwas dafür tun . Meine Mutter würde sagen, Indra habe sich egoistisch verhalten und ein Gelöbnis gebrochen. Und hatte Indra das nicht gerade gesagt? Dass ihr die eigenen Bedürfnisse wichtiger waren als ihre Ehe? Dass ihr der Wunsch, sich selbst zu finden, wichtiger war als ihre Versprechen? Aber bevor ich die Worte fand, um das alles auszusprechen, stand Indra auf. Ich sah, wie Noadhi am Altar die erste der roten Kerzen entzündete. Die Zeremonie fing an.
    Der Dreiviertelmond beleuchtete den Altar, und Noadhis weißes Gewand schimmerte hell. Noadhi bat uns, im Halbkreis vor dem Altar Aufstellung zu nehmen. Dann ging er mit einer Schüssel voll heiligem Wasser zwischen uns herum und besprengte uns, wie ein Priester bei der Messe, mit einer Lotosblüte, die er sich zwischen Mittel- und Ringfinger geklemmt hatte. Anschließend goss er uns etwas Wasser in die hohle Hand und sagte, wir sollten es trinken. Wir tranken. Wir schlürften es wie Quellwasser nach einer langen Wanderung.
    In dem Moment, als das Wasser durch meine Kehle rann, durchfuhr mich der Gedanken: Verdammte Scheiße, ist dieses Wasser desinfiziert?
    Ich hoffte von ganzem Herzen, dass Noadhi einen funktionstüchtigen Filter benutzt hatte, um das heilige Wasser zu reinigen, und nicht nur Gebete. Aber nach einem halben Liter Wasser entspannte ich mich ein bisschen und überließ mich der Hoffnung, dass das Wasser nicht nur gereinigt, sondern auch reinigend war – dass es mich läutern, mich erneuern würde.
    Noadhi drückte uns weiße Reiskörner auf Stirn und Schläfen. Dann wandte er sich dem

Weitere Kostenlose Bücher