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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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aber ich glaube kaum, dass er dieses Gebet verfasst hat!«
    »Ja, nun, machen wir weiter. Das letzte Niyama, das du beachten solltest, ist Ishvarapranidhana.«
    Sie bedachte mich mit einem gütigen, erwartungsvollen Blick. Ich wollte sie glücklich machen, aber ich brachte nur »Is was, Parisaner?« heraus.
    »Die Liebe Gottes«, erklärte sie. »Sich Gott hingeben.«
    Ich nickte eifrig, um ihr zu signalisieren: Klar doch, Indra, wird sofort erledigt .
    Unvermittelt änderte sich das Wetter. Ein Windstoß fegte nasskalt über den Fußboden. Indra zwirbelte in Sekundenbruchteilen ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.
    »Du hast Angst vor dem Tod«, sagte sie. »Das hast du am ersten Tag im Kreis gesagt. Du siehst überall, wo du hinschaust, den Tod und hast deshalb Angst zu handeln. Wenn du Gott lieben, dich Gott hingeben kannst, kannst du im Augenblick leben, frei von Angst. Und ohne Gott? Da siehst du vor dir nur Gefahren und Fallgruben und hinter dir nur Verluste und Tod.«
    Regen trommelte auf das Dach des Wantilan. Indra forderte mich auf, mir Lots Frau zu vergegenwärtigen.
    »Du kennst die Geschichte. Gott zerstört die Städte Sodom und Gomorrha und verspricht, Lot und seine Familie zu verschonen, sofern sie die Stadt sofort verlassen und nicht zurückblicken. Er verlangt von ihnen, Vertrauen zu haben. Wenn du Gott nicht vertraust, wirst du dich immer wieder umblicken, wie Lots Frau, du wirst zurückblicken auf deine Angst vor Tod und Veränderung. Und wir wissen ja, was mit ihr passiert ist, nicht?«
    »Salzsäule.«
    »Richtig. Die Liebe zu Gott erlaubt es dir, voranzugehen, ohne die Vergangenheit immer wieder durchleben oder die Zukunft erahnen zu müssen. In deinem Alter solltest du den Blick nach vorne richten, findest du nicht?«
    »Okay«, sagte ich. Ich drehte mich von Indra weg und streckte die Beine aus. »Aber … ahhh.« Ich schüttelte den Kopf. Konnte man das wirklich üben – Gott lieben? Gott ? Im Geiste hörte ich das Hohngelächter von Richard Dawkins und allen meinen Exprofessoren.
    Indra richtete sich anmutig auf und ging vor mir in die Hocke. »Sag mir, Suzanne, chantest du gerne auf Sanskrit?«
    »Ja! Warum können wir nicht einfach bei Sanskrit bleiben?«
    »Dir ist doch sicher klar, dass wir im Grunde in beiden Fällen dasselbe ausdrücken. Wir bitten Gott um Gnade. Wenn du auf Sanskrit, aber nicht auf Griechisch chanten kannst, hast du vermutlich weniger ein Problem mit Gott als eines mit der Sprache.«
    Und das war’s dann. Sie stand auf und ging, und ich setzte mich zur Pausenmeditation zwischen meine Mit-Yogis, deren Matten in allen Regenbogenfarben schillerten. Mein Blick folgte Indra, die hocherhobenen Hauptes die Stufen hinunter in den Regen ging.
    Und das von einer Frau, die Pisse trinkt , dachte ich.

Später
    Als ich ungefähr vier war, gingen Opa und ich mal im Wald hinter dem Haus spazieren. Es war am Ostermorgen und ich trug meine Ballettuniform – taubenblaues Trikot, Röckchen und Strumpfhosen, rosarote Ballettschühchen und über dem Ganzen ein tomatenrotes T-Shirt. Dieses Outfit hatte ich angeblich mein ganzes viertes Lebensjahr an.
    Ich trug ein Osterkörbchen voller Gummibärchen und Schokoladeneier mit Cremefüllung – damals wie heute meine liebste Süßigkeit an Ostern. Aber ich begriff nicht, wie ein Hase in einen Lebensmittelladen gehen und Schokoladeneier kaufen konnte, ohne dass es jemand merkte. Das heißt, er hatte sie wahrscheinlich gestohlen, damit man ihn nicht sah, und das war – wie ich von einem traumatischen Erlebnis mit einer Ausschneidepuppe wusste – eine Sünde.
    Natürlich machte mir diese Möglichkeit Kummer, und Opa musste das gemerkt haben. Opa war schon immer sehr intuitiv. Aber ich wusste nicht, wie ich ein so komplexes ethisches Problem ansprechen sollte, und so antwortete ich auf die Frage, was denn mit mir los sei, dass ich überlege, ob es den Osterhasen wirklich gäbe.
    »Nein«, erwiderte Opa. »Es gibt ihn nicht. Und die Zahnfee auch nicht.«
    Ich nickte.
    »Aber den Nikolaus«, fuhr er fort, »den gibt es.«
    Ich hatte vollkommenes Vertrauen zu Opas Weltwissen und glaubte deshalb noch jahrelang an den Nikolaus. Ich muss oft daran denken, wie froh ich war, dass er mir den Nikolaus gelassen hatte. Ich war in dem Alter, in dem die älteren Kinder alle über Osterhase und Co. Bescheid wussten, und ich war sehr erleichtert, dass ich einerseits das Wissen der Älteren teilte, andererseits aber einer echt ist. Mein

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