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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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fasziniert mich und stößt mich ab. Sein Umschlag sieht aus wie die balinesische Nacht – grün und dunkelblau, dschungelartig, geheimnisvoll. Ich glaube, ich weiß jetzt, was mir der Matrose durch dieses Geschenk sagen wollte. Wie ich zu Jess sagte: Es ist nicht irgendein beliebiges Buch.
    Nachdem der Matrose von Bord gegangen war, rief er mich an und wollte mich zum Essen ausführen, aber ich lehnte ab. Ich war so verknallt in Jonah, dass ich jede freie Minute mit ihm verbringen wollte, und wenn ich nicht mit ihm zusammen sein konnte, hörte ich mir unentwegt das Tonband mit dem Musikmix an, den er für mich aufgenommen hatte, und in meinem Kopfkino liefen als Endlosschleife unsere erste Begegnung, der erste Kuss und die ersten gemeinsamen Nächte.
    Das erzählte ich dem Matrosen, und dann fragte er, ob er mich wenigstens zum Lunch einladen dürfe, um mir mein Weihnachtsgeschenk zu geben. Er habe oft an meine grünen Augen gedacht, sagte er, und sie hätten ihn auf den Gedanken gebracht, dass mir spanische Literatur gefallen könnte.
    Ich sagte immer noch nein, obwohl mir die Idee gefiel. Den Rest des Tages spekulierte ich darüber, welches Buch er gemeint haben könnte. Einen spanischen Schriftsteller oder einen, der auf Spanisch schrieb? Modern? Klassisch? Don Quichotte ?
    Ich habe ihn nie danach gefragt.
    Das nächste Mal sahen wir uns ein Jahr später bei Bekannten. Er kam erst nach dem Essen, und wir schlängelten uns nach draußen durch, damit ich rauchen konnte. Wir redeten ein paar Stunden nur über Bücher, aber die Unterhaltung war fast zu gut, um wahr zu sein. Wir lasen beide gerade Anna Achmatowa, und ihr Gedicht »Lots Weib« rührte uns beide zu Tränen, vor allem die Zeile, an die ich seit meinem Gespräch mit Indra neuerdings wieder denken muss: »Nur ich werd’ sie niemals vergessen im Herzen / Die, einmal zu sehen, ihr Leben gab hin.« Schließlich sagte ich, ich müsse gehen. Er zog mich zum Abschied an sich und sagte, er würde auf mich warten. Der Blick aus seinen blauen Augen war eindringlich und traurig. Und das Merkwürdige war – als er sagte, dass er auf mich warten würde, hätte ich fast geantwortet, ich würde auch auf ihn warten. Komplett verrückt.
    Natürlich sagte ich das nicht laut. Ich kicherte nur verlegen und erinnerte ihn daran, dass ich einen Freund hatte. Und wand mich aus seiner Umarmung heraus. Sehr souverän! Seitdem ist er mir gegenüber äußerst korrekt und freundlich, und ich versuche nicht zu erwähnen, was ich gerade lese.
    Aber manchmal, wenn ich unterwegs oder spät abends noch wach war, ertappte ich mich dabei, wie ich leise vor mich hin summte: Ich hätte so gerne ein spanisches Buch. Ich hätte so gerne ein spanisches Buch .
    Kurz vor meiner Abreise nach Bali sah ich ihn kurz, als seine Schwester mit ihm und ein paar Kollegen aus dem Büro in den Pub kam, in dem ich arbeitete. Er erzählte mir von einem Buch über Indonesien, geschrieben von V. S. Naipaul, den er sehr mag, und ich antwortete, ich würde es gerne lesen. Er versprach, es mir durch seine Schwester zu schicken.
    Am nächsten Tag ging ich ins Büro und sah schon aus fünf Metern Entfernung, dass seine Schwester nicht ein Buch auf meinen Schreibtisch gelegt hatte, sondern zwei. Das zweite Buch war natürlich das von vor drei Jahren, das ich nicht hatte annehmen wollen. Der Verfasser ist ein kolumbianischer Autor namens Álvaro Mutis und es heißt Maqroll . Es verkümmert derzeit in meinem Koffer im Wandschrank. Ich spüre seine Aura bis hierher.

Später
    Ich bin gerade aus einem Traum aufgewacht, in dem ich in einem Museum oder Waffenarsenal war, einem großen, alten Gebäude jedenfalls. Und der Matrose war auch da, nahm mich in die Arme, und dann hob er mich hoch und trug mich auf eine geschwungene Marmortreppe zu. Und ich war glücklich. Ich sah ihm über die Schulter, und hinter ihm war Jonah und weinte. Das ist das Schlimmste daran – Jonah weinte, und ich empfand nichts.
    Ich kuschelte mich in die Arme des Matrosen, wie sich Indra an Lou angekuschelt hatte, und ließ zu, dass er mich wegtrug.

16. März
    Wenn ich über den Matrosen rede, muss ich mehr an den Matrosen denken, wodurch ich von dem Matrosen träume, was bewirkt, dass ich noch mehr über den Matrosen reden will. Aber ich darf nicht vergessen, dass er nur eine Phantasie ist. Ich kenne ihn nicht mal besonders gut. Er verkörpert die Romantik, glaube ich. Aber wenn ich träume, dass Jonah weint, während der Matrose mich

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