Bin Ich Schon Erleuchtet
über die rituelle Entjungferung in alttestamentarischer Zeit. Sie haben es mit einer Art rituellem Deflorierungsstab gemacht. Ritual-Dildo. Klingt für mich wesentlich traumatischer als meine eigene Entjungferung, aber wer bin ich, dass ich darüber urteilen dürfte?
Und was hat mir Jessica da gerade offenbart? Sie wurde revirginisiert .
»Äh … chirurgisch?« Bei dem Gedanken, dass man sie wieder zusammengenäht hat, verschlucke ich mich an einem Salatblatt.
Es gibt ungefähr viertausend Kellner im Casa Luna; alle sind hübsch und tragen dunkelblaue oder pinkfarbene Batik-Sarongs, weiße Hemden und eine Blume hinter dem Ohr. Sie warteten in der Nähe des Tischs, deshalb beugte ich mich vor, um von Jessica die Details zu erfahren. Aber sie redete in voller Lautstärke weiter. Eine Heilerin aus Boulder habe ihr geholfen, ihre Jungfräulichkeit zurückzugewinnen.
»Diese Frau war phä-no-me-nal! Sie arbeitet mit Energie und mit dem Atem und mit Massage, und wenn du spirituell, äh …«
»Intakt?«
»Ja! Wenn du spirituell intakt bist, nimmt sie dir deine Jungfräulichkeit, wie es beim ersten Mal hätte sein sollen.«
Das musste ich erst mal verdauen. »Du meinst, sie …«
Jessica gackerte wie ein Huhn. »Ja!«
»Mit einem rituellen – Gegenstand?«
»Ja!«
»Wow!« Mehr brachte ich nicht heraus. »Jess, du bist echt der Hammer.«
Jessica hat an ungefähr einer Million Workshops teilgenommen, die ihr alle helfen sollten, die Liebe zu finden. Nach dem Abendessen spazierten wir bei Sonnenuntergang durch die Stadt, und Jessica erzählte mir von ihren Lieblingskursen und -lehrern. Zuerst war ich unkonzentriert, und nicht nur, weil sich mir bei manchen ihrer Sätze wie »das Weibliche neigt sich zu dem Männlichen hin« vor Empörung die Nackenhaare sträubten. Nein, es ist einfach so irrsinnig schön hier. Manchmal trifft mich die Schönheit wie ein körperlicher Schmerz. Meine Augen brennen vor lauter Anstrengung, alles in mich aufzunehmen.
Wir waren auf dem Weg in das Dorf Campuhan, als sich der Himmel verdunkelte und mit violetten, schwarzen und goldenen Streifen überzog. Jess erzählte mir von einer Übung, bei der die Teilnehmerinnen ihre Weiblichkeit entdecken, indem sie eine wahrhaft feminine Frau, gewöhnlich die Workshop-Leiterin, imitieren. In Campuhan wurde der Boden klebrig, weil merkwürdige Früchte von den tiefhängenden Ästen gefallen waren und einen blutroten Matsch bildeten. Jessica zeigte mir, wie man wie eine uralte Muttergöttin mit dem Kopf wackelt. Wir wanderten mit wackelnden Köpfen umher, bis die Sterne aufgingen, und dann machten wir uns auf den Heimweg und wurden immer stiller.
Die Treppe von Campuhan nach Penestanan ist der anstrengendste Teil unseres täglichen Fußwegs in die Stadt. Sie hat sechsundneunzig Stufen. Jason und ich haben sie letzte Woche gezählt. Wir hatten gewettet. Ich habe verloren. Ich dachte, es wären mindestens zweihundert. Das Hochsteigen war die absolute Tortur, aber die Treppe sieht phantastisch aus. Sie ist auf beiden Seiten von dichter grüner Vegetation eingerahmt, aus der alle möglichen Tiere hervorkriechen – Reptilien, Katzen, gelegentlich auch mal ein Huhn. Über uns wölbt sich ein Blätterdach, von dem peitschenähnliche Ranken schlaff herunterhängen. Zerklüftete Steinbrocken aus uralten Zeiten bilden die breiten Treppenstufen.
Nach einem Viertel des Aufstiegs waren wir müde, und Jessica fing an zu seufzen, was gewöhnlich bedeutet, dass sie reden will. Wir setzten uns also mitten auf die dunkle Treppe. Der Stein unter mir war hart und knubbelig durch das Moos und Gott weiß was sonst noch, und die einzige Lichtquelle befand sich Millionen Meilen entfernt, beziehungsweise auf der halben Treppe in Form museumsreifer Straßenlaternen, die Insekten und Geckos anlockten. Aus der Ferne drangen schwach die dissonanten Klänge des Gamelan-Orchesters.
»Ich weiß, ich sollte Geduld haben«, sagte Jessica, den Oberkörper anmutig nach hinten gebogen, »aber es fällt mir so schwer. Ich wünsche mir einen Mann, der ja sagen kann.« Ihre Mondsteinkette blitzte einen flüchtigen Moment lang bläulich auf und verschmolz dann wieder mit der Dunkelheit.
»Einen Mann, der ja sagen kann«, wiederholte ich.
»Ich hab da mal diesen Workshop gemacht. Gender Expression.«
»Okay«, sagte ich und holte tief Luft. »Und das ist etwas anderes als Gender Clarity, nehme ich an?«
Sie nickte heftig. »Oh, es ist so phan-tas-tisch! Im Wesentlichen
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