Bin Ich Schon Erleuchtet
und das habe ich ihr auch gesagt. Aber wahrscheinlich nur, weil ich befürchte, dass die Beziehung mit Jonah nicht gerade spirituell ist. Sie macht Spaß, sie kommt von Herzen und fühlt sich vertraut an. Aber spirituell? Hm. Ich weiß nicht recht. Andererseits – muss eine Beziehung spirituell sein, damit sie gut ist? Ich glaube nicht. Wie schon die Beatles sangen: All you need is love .
Unser Gespräch ging los, als ich aus Ubud zurückkam, wo ich meine Mails gecheckt hatte. Jonah hatte mir geschrieben, aber keine Antwort auf meinen Wunsch nach einer besseren Beziehung. Kein Wort. Nur dass er mich vermisst und liebt und dass die Umzugsvorbereitungen extrem stressig sind.
Ich versuche das zu verstehen. Vielleicht ist er mit dem Umzug im Nacken nicht in der richtigen Verfassung für so knifflige Sachen. Aber keiner von uns ist je in der richtigen Verfassung für so was.
Deshalb habe ich Jessica von Jonah erzählt, und dann – vielleicht weil Jessica nicht aus meiner Welt stammt und ich deshalb das Gefühl habe, ich kann offen zu ihr sein – habe ich ihr eine Geschichte erzählt, die ich noch nie aufgeschrieben habe, weil sie zu – was auch immer ist. Zu stark? Zu phantastisch? Ich glaube, sie macht mir Angst. Ach, ich weiß auch nicht. Ich habe ihr von dem Matrosen erzählt, und von dem Roman, den er mir geschenkt hat und den ich immer wieder aufschlage und doch nicht lesen kann. Vielleicht hat mir das Gespräch mit Jessica Mut gemacht, jedenfalls will ich zum ersten Mal seit drei Jahren alles aufschreiben.
Der Matrose ist zu alt für mich, aber ich denke unglaublich gerne an ihn. Ich habe viele schöne Stunden mit Tagträumen über unsere wenigen Begegnungen verbracht. Er ist achtzehn Jahre älter als ich, und wenn wir uns sehen, reden wir über Bücher. Das ist alles. In Gruppen schweigt er, bis die Unterhaltung interessant wird. Aber wenn er mal den Mund aufmacht, kann er über Bücher reden wie kein anderer. Seine Augen sind wahnsinnsblau, und seine Gedanken schweifen ins Unendliche.
Ohne meinen Bürojob hätten wir uns vermutlich nie kennengelernt. Ungefähr einen Monat, bevor Jonah und ich ein Paar wurden, landete ich eines Abends auf der Geburtstagsparty des Bruders meiner Kollegin, der vierzig wurde. Dieser Bruder war der Matrose. Drei Jahre ist das her, ich war gerade zweiundzwanzig geworden.
Der Matrose war schon seit Jahren Gesprächsthema. Wenn die Telefone mal nicht so häufig klingelten, erlaubten mir meine Chefs, am Schreibtisch Bücher zu lesen. Ab und zu blieb die Schwester des Matrosen zu einem Schwätzchen bei mir stehen, und wenn sie sah, was ich las, lachte sie. »Ihr lest schon wieder dasselbe Buch, du und mein Bruder«, sagte sie. »Ich muss euch beide unbedingt mal zusammenbringen.«
In meinem ersten College-Jahr gab sie mir eine Ausgabe von Harper’s Magazine , auf der ein Adressschild mit seinem Namen klebte. Ich weiß noch, dass ich lange auf den Namen starrte. Vielleicht wurde meine romantische Ader durch die Vorstellung angesprochen, dass es da irgendwo einen Mann gab, der dieselben Bücher las wie ich, über dieselben Figuren und Ideen nachdachte. Auf jeden Fall war ich schon schwer interessiert, als ich ihn kennenlernte. Live war er größer und grauer als in meiner Phantasie. Er sah wie einer aus, der zur See fährt. Er hatte einen Bart und eine breite Brust. Ich hatte noch nie einen bärtigen Mann geküsst.
Alles, was es brauchte, um das zu ändern, waren ein Glas Scotch und ein Gespräch über russische Dichtung. Am nächsten Tag stach er wieder in See, ich ging wieder ins College, und als er das nächste Mal an Land kam, war ich in einen netten, lustigen Jungen meines Alters verliebt. Jonah.
Das alles erzählte ich Jessica nur, weil ich manchmal einfach über den Matrosen reden muss . Es kann auch daran liegen, dass Jessica so romantisch ist und ich mich deshalb traue, mich in Gefühle zu stürzen, die ich mir seit den ersten Monaten mit Jonah nicht mehr gestattet habe. Leidenschaft zum Beispiel. Der Matrose ist so leidenschaftlich, dass ich es fast mit der Angst zu tun kriege. Was ich mit Jonah habe, ist lieb, beständig, real. Wir machen uns nicht mehr viele Illusionen übereinander, dabei wird die Liebe doch gerade durch Illusionen und Geheimnisse so romantisch.
Ich musste Jessica einfach das Buch zeigen, das der Matrose mir geschenkt hatte, und seine »Bon Voyage«-Karte, die vollkommen harmlos aussieht und trotzdem wie ein Amulett vibriert.
Der Roman
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