Bin Ich Schon Erleuchtet
Anscheinend bin ich mit dieser Matrosengeschichte fertig. Ich habe sie überstrapaziert. In letzter Zeit habe ich gar nicht mehr so häufig an den Matrosen gedacht, nur heute bin ich kribbelig und langweile mich ein bisschen und will mich anscheinend mit einer toten Batterie aufladen. Es ist viel lustiger, an eine Romanze zu denken als an den Tod. Das habe ich gerade Jessica erzählt, und sie sagte: »Gott gab dir den Matrosen, um dich daran zu erinnern, dass du Jonah diese romantische Liebe schenken solltest. Er lehrt dich den Zyklus der Liebe. Es ist an der Zeit, dass ihr, du und Jonah, in einen neuen Kreis eintretet.«
Danach fühlte ich mich erst großartig, bis mir der Spruch wieder einfiel. Dem Sterben ist Jonah unterworfen . Wenn ich noch in den Fängen dieser Matrosengeschichte stecken würde, wäre meine Erleichterung nachvollziehbar. Aber jetzt denke ich: Und wenn wir heiraten und er stirbt, wenn ich erst knapp über vierzig bin? Dann könnte ich immer noch etwas anderes mit meinem Leben anfangen, bevor ich sterbe! Ich wäre frei. Allmächtiger, wie kann man so was Grässliches über jemanden denken, den man liebt? Klingt wie der Anfang von einem Hitchcock-Film.
Dem Sterben bin ich unterworfen.
Oh, Mann. Der Buddhismus ist so deprimierend .
22. März
Bärbel hat mir erzählt, dass sie in Berlin lebt, ihr Mann dagegen auf dem Land, eine Stunde von Berlin entfernt. Sie verbringt die Woche allein in der Stadt und fährt am Wochenende mit dem Zug aufs Land und ist Ehefrau. Ich bin von dieser Aufteilung so beeindruckt, dass ich ständig daran denken muss.
Sie musste mein Staunen bemerkt haben, denn sie sagte: »Und warum nicht? Ich habe sehr früh geheiratet. Er hat sehr früh geheiratet. Was für eine langweilige Art, älter zu werden, wenn man so bleibt, wie man immer war. Deshalb habe ich jetzt fünf Tage pro Woche für mich.«
Später
Wenn Jonah einverstanden wäre, würde ich es ganz genauso machen wie Bärbel und ihr Mann. Nur die Wochenenden. Fünf Tage pro Woche tun, was ich will !
Ob sie wohl wirklich alles tun kann, was sie will?
23. März
Ein Uhr vorbei, und ich komme gerade aus einer Bar. Meine Kleider riechen nach Rauch. Komische Sache, dass mir das komisch vorkommt!
Heute Abend waren wir im Jazz Café, einem überfüllten, überteuerten Jazzclub in einem schmuddeligen Teil von Ubud, den ich bis heute nicht kannte. Er liegt etwas abseits. Es gibt weniger Touri-Schuppen, keine Taxifahrer oder Billigläden. Weniger lächelnde Gesichter. Flackernde Straßenlaternen waren die einzige Beleuchtung. Mitten auf der Straße brannten zerbrochene Palmwedel und Müllhaufen.
Bevor wir hineingingen, blieben Jason und ich vor einem Minialtarpodest neben dem Eingangstor stehen. Es sah aus wie ein Altar und ein Nest; zerfaserte Strohstreifen breiteten sich sternförmig vom Mittelpunkt aus, wo ein Stapel Opfergaben auf einer Steinplatte lag. Daneben streckte uns ein in die Steinmauer geschnitzter Schutzdämon die Zunge heraus. Ein Hund jaulte, dann ein zweiter, und dann preschten nicht weniger als acht gescheckte, verlauste Köter über die Straße auf uns zu, drehten kurz vor uns ab und rannten weg.
Beim Betreten des Clubs nahm ich einen süßlichen, erdigen Geruch wahr. Ich sah Jason fragend an. »Leyaks?«
Er schnüffelte theatralisch. »Bier, denke ich.«
Das Jazz Café war offenbar Anziehungspunkt für sämtliche Touristen unter fünfzig. Es sieht aus wie die meisten balinesischen Gebäude, offen und luftig, mit Windlichtern und Kerzen entlang der Wände und auf den Tischen.
Jason reservierte uns eine Bale , ein Podest mit Baldachin, auf dem wir an niedrigen Tischen saßen, die von Plastikflaschen, Kerzen und Steinvasen voller Jasmin- und Frangipaniblüten übersät waren. Wir thronten auf viereckigen grüngoldenen Seidenkissen und tranken alkoholfreie Cocktails aus pastellfarbenen Martinigläsern.
Von unserem erhöhten Standpunkt aus hatten wir den ganzen Club im Blick. Hinter uns drängten sich Paare in einem dunklen, mit Pflanzen und kleinen Reispapierlämpchen geschmückten Hof. Ihre Zigarettenenden glühten wie Tieraugen. Ich lehnte mich zurück, so weit ich konnte, bis ich am Baldachin vorbei den Vollmond am Himmel sehen konnte. Dann beugte ich mich wieder vor, um mir die Leute an der Bar, das unruhige Getümmel auf der Tanzfläche und die Band anzusehen – eine Coverband, die fast perfekt Songs von Louis Armstrong und Frank Sinatra imitierte.
Merkwürdig – hier außerhalb des
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