Bin Ich Schon Erleuchtet
und -hemden auf den Kissen. Im Auge der Kamera sahen sie aus wie Kolonialherren; sie benahmen sich, als gehörte ihnen der Club.
Ich richtete die Kamera auf die Tische an der Tanzfläche. Dort flirteten kurzhaarige weiße Männer großspurig mit indonesischen Frauen. Frauen mittleren Alters mit sonnengebleichten Haaren und kolossalen Brüsten saßen vor Drinks und übervollen Aschenbechern neben blutjungen balinesischen Burschen. An der Bar standen dicht gedrängt Männer in glänzenden Hemden und engen Hosen, die sich die Lippen leckten, während sie ihre Handys auf und zu klappten. Blicke flirrten durch den Raum und folgten den Cocktail-Kellnerinnen, die sich mit voll beladenen Tabletts auf dem Kopf, die sie nur mit ein paar anmutigen Fingerspitzen balancierten, hoch aufgerichtet durch Horden betrunkener Tänzer schlängelten. Ich stellte mir vor, wie diese Frauen zu ihren Familien zurückkehrten und morgens nach dem Aufwachen, genau wie Su, ihre täglichen Opfergaben herrichteten. Tagsüber besänftigen diese Frauen die Inselgeister, nachts bringen sie den Europäern, Amerikanern und Australiern im Club Schnaps und Zigarettenschachteln – ist das wirklich so ein großer Unterschied?
Als sich der Club füllte, wurde es immer schwieriger, etwas Bestimmtes in den Sucher zu bekommen, und so starrte ich unschlüssig auf die Kamera, die ich auf Brusthöhe hielt. Die Musik war lauter geworden. Ich sah mir diese Menschen an.
Da verschob sich etwas in meiner Wahrnehmung. Ich sah die Menschen plötzlich mit meinen eigenen Augen, ohne Filter. Womöglich war das alles, was existierte. Es gefiel mir. Ich liebte die gleitenden Bewegungen der Kellnerin, ich liebte die Männer, die die Frauen ansahen, und die Frauen, die die Männer ansahen. Ich liebte die sich windenden Körper auf der Tanzfläche.
Dem Sterben bin ich unterworfen?
Nein. Dem Leben bin ich unterworfen!
Ich lehnte mich zurück und blickte wieder am flatternden Rand des Baldachins vorbei zum Himmel. Der Mond war vollkommen rund und vollkommen weiß. Leute stießen gegen das Podest, und ich überlegte kurz, zu meinen Mit-Yogis auf die Tanzfläche zu gehen. Ich lehnte mich noch weiter zurück und blinzelte den Mond an, und mir kam der Gedanke, dass ich gerne den Mond auseinanderziehen würde, als wäre er ein Loch in einem dunklen Tuch. Dann könnte ich mir den Himmel über den Kopf ziehen und mit eigenen Augen sehen, was dahinterliegt.
24. März
Ich weiß nicht, wie ich beschreiben soll, was heute passiert ist.
Jessica und ich sitzen auf der Veranda. Die Sonne geht unter. Das Gamelan-Orchester spielt. Ich versuche meinen Tag zu rekapitulieren, obwohl ein Teil von mir ihn am liebsten auf sich beruhen lassen und diesen Augenblick genießen würde, den Sonnenuntergang und die Musik und Su da unten, die dem Tempel ihr Abendopfer bringt. Das habe ich bisher noch nie gesehen.
Aber ich will mich erinnern.
Heute hatten wir schon einige Zyklen Bhastrika hinter uns gebracht, als Lou uns aufforderte einzuatmen und dann die gesamte Atemluft auszustoßen. Dann sollten wir das Mulabandha setzen. Ich gehorchte, und in diesem Moment lösten sich der Wantilan, meine Mit-Yogis und die Reisfelder auf, und ich saß im Auto und fuhr auf ein Licht zu, das weiß wie der Mond war. Aber ich fuhr nicht wirklich darauf zu , sondern in das Licht hinein . Das Auto war ein Cabrio, und ich selbst befand mich in einem Zylinder aus weißem Licht, einer Art Röhre aus blendendem Weiß. Zwei androgyne Wesen, die ich als Verwandte erkannte, saßen auf dem Rücksitz, sie trugen beide einen Edith-Piaf-Pagenschnitt. Sie lachten sich an, und ihr Gelächter perlte silbrig glänzend von ihren Lippen wie Quecksilbertropfen.
Das Licht wurde heller. Zuerst spürte ich ein Stimmengemurmel, dann hörte ich es und nahm an, ich wäre in der Totenstellung eingeschlafen und hätte einen wunderbaren Traum gehabt – die Sorte Traum, aus der man nicht aufwachen will. Ich hätte gerne weitergeträumt, aber ich wusste, ich durfte nicht schlafen, ich musste mich aufsetzen und meditieren.
Eine der Stimmen hallte abwechselnd laut und leise, wie in einer Spirale gefangen, doch mit der Zeit wurde sie immer lauter. Die Stimme sagte: Es ist okay, ich kenne das auch. Die Stimme war so laut, dass ich sie wie einen Schlag ins Gesicht empfand. Schließlich nahm sie in meinen Gedanken Gestalt an, und ich erkannte das Gesicht, das zu ihr gehörte.
Indra. Ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich
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