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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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auf ihn wartete, setzte er sich zu mir auf die Verandastufen, und wir unterhielten uns ein Weilchen. Mir fielen sofort seine dunklen Augenringe und geröteten Lider auf, und ich fragte ihn, ob er müde sei.
    »Ja«, antwortete er. »Sehr müde. Ich bin seit dem frühen Morgen auf.«
    Geister hatten seinen Vater sehr krank gemacht, erzählte er. Vor einem Jahr hatte er ihn ans Meer gebracht, um ihn zu heilen, denn die bösen Geister sind gerne am Meer, und er hatte gehofft, sie dadurch milde zu stimmen. Aber jetzt lässt der Effekt nach. Ich fragte ihn, was am Verhalten seines Vaters ihn denn vermuten lasse, dass er von Geistern geplagt werde, und Noadhi beschrieb die Symptome von Alzheimer oder einer anderen Form von Demenz. Sein Vater tobt und sieht Dinge, die nicht da sind. In einem Moment ist er ganz normal und im nächsten ein Kind. Oma ist auch dement und halluziniert fortwährend wilde Geschichten von afrikanischen Priesterinnen, die Heilrituale an ihr vollziehen, oder von Polizeihundertschaften, die in ihr Zimmer stürzen, nachdem sie versehentlich den Notruf gewählt hat. Sie glaubt oft, ihre Mutter oder ihre Großmutter seien bei ihr im Zimmer, obwohl beide längst tot sind. Sie erzählt mir von wunderbaren Partys mit all ihren verstorbenen Verwandten oder auch, an schlechten Tagen, von Partys, auf denen ihre toten Verwandten und Freunde sie ignorieren.
    Ich sagte zu Noadhi, dass meine Oma dieselbe Krankheit hat und wir sie in den Staaten Demenz nennen. Das interessierte ihn sehr, und so erzählte ich ihm auch von Alzheimer. Er fragte, was wir für Oma tun, und ich antwortete, dass wir sie meistens in dem Glauben lassen, das, was sie sehe, sei real, es sei denn, es regt sie auf, und dann versuchen wir sie zu beruhigen. Aber wenn sie auf einer tollen Party ist, lassen wir ihr die Freude. Mehr kann man im Grunde nicht tun. Er nickte. Sein Vater sei gewalttätig, berichtete er, und das einzige Gegenmittel sei, ihn zur Reinigung ans Meer zu bringen. Noadhi rieb sich seinen kahlen Kopf und lächelte mir gequält zu. Er sah sehr schön und traurig aus. »Leben«, sagte er.

19. März
    Morgens herrscht da draußen das Chaos. Hähne, Hunde, Vögel, alle schreien um die Wette. Es ist wie bei der Welthandelsorganisation.
    Wir lernen alle möglichen Meditations- und Atemtechniken, hauptsächlich Bhastrika , die Blasebalg-Atmung. Ich bin süchtig danach. Man macht folgendes: Man sitzt im Lotossitz und legt die Hand auf das Zwerchfell. (Nur solange, bis man weiß, wie es geht.) Dann atmet man tief ein und stößt die gesamte Luft wieder aus. Danach atmet man zur Hälfte ein und atmet durch die Nase kraftvoll in mehreren Stößen aus. Nach ein oder zwei Minuten atmet man wieder ein, stößt die gesamte Luft aus der Lunge aus und hält den Atem an, wobei man das Zwerchfell hebt und den Unterbauch festhält, als wollte man den Gang aufs Klo hinauszögern. Das nennt man die Bandhas setzen.
    Die Bandhas sind hier voll im Trend. Wir setzen sie unentwegt. Das Mulabandha vor allem, im Prinzip ein Muskel zwischen dem Rektum und den Geschlechtsorganen. Als ich das zum ersten Mal hörte, musste ich es mir übersetzen. Gemeint ist der Damm.
    Und ratet mal, wie Lou das Mulabandha nennt? Afterverschluss. Hui.
    Und ratet mal, was ich in diesem Augenblick mache? Korrekt.

Später
    Lou sagt, es gibt Schritte, die der Meditation vorausgehen. Zuerst reduziert man die Sinneswahrnehmungen, indem man die Augen schließt. Dann konzentriert man sich auf ein einzelnes inneres Bild oder Mantra. Wenn man gelernt hat, sich zu konzentrieren, kann man anfangen zu meditieren.
    Aber auch beim Meditieren gibt es verschiedene Ebenen. Man versinkt nicht sofort in tiefe Meditation. Die tieferen Schichten findet man nach und nach.
    Es fühlt sich manchmal an wie Versinken. Ich konzentriere mich, und dann kommt es mir vor, als würde ich in einen Kaninchenbau abrutschen. Ich komme fast jedes Mal gleich wieder hoch, weil es wie der Anfang eines luziden Traums ist.
    Oder vielleicht bin ich auch nur hungrig und kippe demnächst um. Ich werde allmählich zu Gemüse. Ich habe so viel davon gegessen. Ich werde ein Salatblatt. Ich bin eine Papaya.

20. März
    Ich kann nicht aufhören, Macys Hände anzustarren. Macy kommt aus der Bay Area und ist ungefähr so alt wie meine Mutter. Eindeutig der Typ Althippie mit Kohle – jede Menge Goldarmreifen, ein knalliger Diamantring und eine Ausdrucksweise, wie man sie nur durch langjährige New-Age-Therapien erwirbt.

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