Bin Ich Schon Erleuchtet
wund, und meine Zukunft ist düster. Ich fühle mich, als hätte ich nie im Leben Yoga gemacht.
Jason, Lara und Jessica beabsichtigen, mit Ketut einen Ausflug in den Affenwald zu unternehmen und mit den Makaken zu spielen. Ich beabsichtige, zu Hause zu bleiben und zu grollen.
Ich frage mich, wie sie sich fühlen, wenn ich heute sterbe, während sie sich mit diesen Affen vergnügen. Wollen sie denn nicht wenigstens jemanden hier lassen, falls ich einen Arzt brauche? Oder ins Koma falle?
Yogis sind selbstsüchtig. Christentum, Judentum, Islam – das sind richtige Religionen, deren Anhänger einem Suppe kochen und einen umsorgen, wenn man krank ist. Yoga ist eine egozentrische Pseudoreligion, und ich hasse sie.
Ich will auch Affen gucken. Es ist so ungerecht. Ich wollte mein ganzes Leben lang Affen in freier Natur sehen. Das war mein größter Traum, mein Herzenswunsch. Kümmert die das? Versuchen sie, ihre Vorfreude zu verbergen? Denken sie einmal im Leben an andere, ziehen sie in Erwägung, dass sie ihre freudige Erregung für sich behalten könnten, aus Respekt vor der Tatsache, dass ich in dieser beschissenen Zelle festsitze und praktisch sterbe?
Nein. Tun sie nicht.
Es gibt keinen Gott.
Ich vermisse Jonah. Er würde mir Suppe bringen oder so. Er würde sich was Lustiges ausdenken, das mir meinen Lebenswillen zurückgibt. Er würde mich mit Klatsch und Tratsch unterhalten, weil ich ja weder Fernsehen noch Freunde habe und die Langeweile mich schneller umbringt als der Bali-Bauch.
Später
Ich sterbe jeden Tag ein bisschen mehr.
Später
Vielleicht ist es gar nicht der Bali-Bauch. Vielleicht ist das alles ein großer Irrtum. Mir tut es unten rechts weh, wahrscheinlich ist das Blinddarmkrebs. Der inzwischen auch meinen Magen, meine Gedärme, meine Eierstöcke befallen hat. Wenn ich am Ende nicht tot bin, dann zumindest unfruchtbar.
Ich wollte immer ein Kind. Aber ich werde steril sein.
Falls ich überlebe.
Später
Sie brechen auf. Ich höre Lara und Jason mit Jessica draußen auf der Veranda, sie reden darüber, wie viel Spaß sie haben werden und wie glücklich sie sind, dass sie keinen Bali-Bauch haben. Okay, auf jeden Fall denken sie das. Ganz sicher. Jeder ist besonders gerne am Leben, wenn jemand anderes stirbt und nicht er.
Verdammter Mist.
Ich habe zum ersten Mal seit langem einen Blick in den Spiegel gewagt. Die Haut unter meinen Augen ist silbrig-violett wie das Innere einer Austernschale. Das Violett verläuft zu einem Einheitsgrau, das den Rest meines Gesichts überzieht wie eine Maske. Diese Entdeckung war schon beunruhigend genug. Doch dann habe ich die Zunge rausgestreckt und – oh Gott. Sie ist nicht schwarz, aber auch nicht rosa. Sie ist irgendwie graugrün. Etwas passiert mit mir. Ich verwandle mich in eine andere Lebensform, in Kafkas Käfer oder die Fliege. Beginnen Verwandlungen mit der Zunge?
Ich bin in der Klemme.
Sie sind seit ungefähr einer Stunde weg. Davor habe ich Jessica noch meine Zunge gezeigt. Ich hatte ein bisschen Panik. Eine schwarze Zunge ertrage ich nicht, das ist zu viel für mich neben all dem anderen, dem Krebs, der Unfruchtbarkeit etc.
Sie stellte sich dicht vor mich hin, die Hände auf meinen Schultern, und linste mir in den Mund. »Oh, Suzanne «, seufzte sie, »du brauchst Urin.«
»Nein«, protestierte ich. »Nein! Wir haben eine Abmachung, und ich werde einen Weg finden, mir Antibiotika zu beschaffen.« Ich hörte die Stimmen von Jason und Lara auf der Veranda. Ich stand auf. Jason würde mir helfen, er musste mir helfen. Ich war Winona Ryder in Dracula , blutend, mit zerbissenen Lippen: Schaffe mich fort und halte mich fern von all diesem Tod!
Jessica ergriff meine Hand. »Hör mal, wie willst du dir heute Antibiotika beschaffen? Bis du von einem Arzt ein Rezept bekommst, könnte deine Zunge schwarz sein.«
»Oh verdammt«, sagte ich. Ich wurde ganz still. Das war alles nicht mein Fehler. Es war Jessicas Fehler, Laras Fehler. Ich fühlte mich betonschwer, ich war ein Zementblock von tausend Kilo Gewicht. »Und was soll ich machen?« Das war keine Frage, es war ein Vorwurf.
Jessica nagte an ihrer Lippe. »Weißt du, was hilft?«, sagte sie. »Es hilft, wenn du dir die Urintherapie als Ritual vorstellst.«
Ich starrte sie grimmig an. Sie lächelte zurück. »Vor meiner ersten Behandlung am Morgen spreche ich immer gerne ein Gebet.«
Ich gönnte ihr nicht mal ein Nicken. Sie sollte leiden.
Sie räusperte sich und sang dann leicht lispelnd mit
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