Bin Ich Schon Erleuchtet
»konkurrenzbetonten« Glückliches-Baby-Stellung brüstet und sich weigert, Urin zu trinken.
Aber dann denke ich: Alles Mist. Wenn der niedere Vogel Gandhi und Hitler ist, wäre er dann nicht auch Urin und Antibiotika? Wenn alles derselbe Vogel ist, welchen Unterschied macht es dann? Welchen Unterschied macht irgendetwas ?
12. April
In den vergangenen zwei Tagen habe ich vierzig Neem-Kapseln und einen Ozean Grapefruitkern-Extrakt in mich hineingeschüttet. Ich habe einen bitteren Geschmack im Mund, der von dem Extrakt herrühren könnte oder vom Aroma der Realität . Weil ich so langsam das Gefühl habe, dass es keine echte Transzendenz geben kann, solange man in einem Körper steckt. Es gibt nur dieses sture, schwache Fleisch, diesen Morast des Lebens.
Gestern brachten Indra und Lou Schüsseln voll pampigem Reis mit Lorbeerblättern und einer geheimnisvollen, darmverfestigenden Zutat vorbei und sahen mir mit zusammengekniffenen Augen zu, wie ich in der heißen Mittagssonne Löffel um Löffel kleckernd zum Mund führte, zum Klo rannte und dann die Prozedur wiederholte, bis der Reis alle war.
Indra war freundlich. Glaube ich. Ich habe irgendwie keine Kraft mehr, sie zu beeindrucken. Der höhere Vogel hat mich im Stich gelassen. Der höhere Vogel ist ein mieser Wichser.
Heute hab ich das Badezimmer erst gar nicht mehr verlassen. Ich habe beschlossen, dass ich jetzt hier lebe.
Später
Es ist eigentlich ganz hübsch hier drinnen. Auf den Steinregalen neben dem Spiegel steht massenhaft Aromatherapiezeugs von Jessica, es riecht wie in einem Garten. Oder in einer teuren Boutique. Ich habe meine eigene Gefängniszelle mit Jasminduft. Als wir hier einzogen, klebte Jessica Zitate an die Wand neben dem Lichtschalter: Wenn du geduldig bist, wird dein Geist zur Ruhe kommen, und was immer du tust, wird sich der Vollkommenheit nähern . Ziemlich witzig für ein Badezimmer.
Direkt darunter steht: Glaub nicht alles, was du denkst .
Ich habe irgendwo gelesen, dass man, wenn man Gott nicht anbetet, etwas anderes zum Anbeten findet, zum Beispiel Geld oder Macht oder das eigene Spiegelbild. Hm. Ich fürchte, ich drehe allmählich durch. Ich habe Jessicas Pflegeprodukte auf der Ablage der Reihe nach aufgestellt, die Deckel abgeschraubt und nacheinander an allen geschnuppert. Indra hat mich ermahnt, hier drinnen das Beten nicht zu vergessen, und das tue ich auch nicht. Nur bete ich jetzt eben Jessicas Fläschchen und Töpfchen an. Götzenverehrung, oho!
Als Kind dachte ich, »Idolatrie« wäre das vornehme Wort für Ehebruch. Auf gewisse Weise stimmt das ja. Ich betrüge Gott! Ich bete die Verheißungen auf dem Rücken dieser Glasbehälter an, die mir Wohlbefinden und Heilung versprechen.
Die Gebete laufen in meinem Kopf ab wie Kurzfilme in kräftigen, satten Farben. Ich studiere die Etikette des Arnikaöls, der Calendulacreme, des Hagebuttenbalsams und begebe mich auf eine Art Astralreise in die altehrwürdigen Ursprungsländer dieser Pflegeartikel. Jessicas Pantheon weiser Frauen in roten Zelten erscheint, sie reiben sich gegenseitig mit Eukalyptus- und Mandelöl ein. Diese Öle und Cremes gehören zu einer Welt, die so viel besser ist als die, in der ich lebe. Sie ist schlichter, sie ist liebevoller, alle gehen einer ehrlichen Arbeit nach, und niemand ist zynisch.
Die Menschen treiben Handel. Wenn man eine Lemon-Butter-Handcreme will, bietet man etwas dafür zum Tausch an. Man gibt der Kräuterfrau zum Beispiel eine Ziege. Oder ein Amulett.
Das ist eine Phantasiewelt, ich weiß. Aber es ist eine so schöne Phantasie! Ich stelle mir einfache Bauern vor, die vor einem tiefroten Sonnenuntergang ihre kleinen Äcker betrachten und dabei ihre muskulösen Arme dehnen; lange Reihen von Birken, die im warmen Wind flirren; riesige violett erglühende, wellige Lavendelfelder. In der Nähe steht ein kleines Steinhaus, in dem ein kräftig gewürzter Eintopf in einem gusseisernen Topf köchelt. Dieser Eintopf wird mich gesund machen. Die Frau, die ihn kocht, ist eine Kreuzung aus Jessica und Indra und wird mir die Kräuter und Öle geben, die ich am Abend nehmen soll und die mich gelassen und rein und geduldig machen werden. Klar, in dieser Phantasie haben alle Leute noch ihre Zähne, obwohl sie die damals wohl nicht hatten. Und vielleicht sollte ich auch nicht vergessen, dass sie sich mit diesen wohlriechenden Ölen einrieben, weil sie nur badeten, wenn sich auf ihrer Haut schon eine Kruste gebildet hatte.
Aber ich will kein
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