Bin Ich Schon Erleuchtet
Spielverderber sein.
Später
Was ich von den Produktserien der Drogerieketten halte? Alle minderwertig. Widerlich. Ekelhaft. Brutstätten für Krebszellen und schlechte Gefühle. Bei allen steht auf dem Etikett, dass man sie großzügig verwenden soll. Sie suggerieren einem, dass man sie so schnell wie möglich aufbrauchen muss, damit man losziehen und noch mehr davon kaufen kann.
Jessicas Edelnaturkosmetik dagegen empfiehlt einen Klecks von der Größe einer Centmünze, eine Prise, eine bescheidene, keusche Menge. Sie will helfen, nicht ausbeuten. Ihre Hersteller sind Heilige in der yogischen Wellnesstradition. Jessicas Gesichtspeeling kostet viermal so viel wie meines. Na und? Meins besteht wahrscheinlich aus DDT und dem Knochenmehl von Weißkopfseeadlern.
Mal ehrlich. Kann man auf Wohlbefinden ein Preisschild kleben?
Später
Ich kann durch das topflappengroße unverglaste Fenster die Abenddämmerung sehen.
Dunkel da draußen.
Indra war da. Sie hat mir noch mehr Reis gebracht. Dann hat sie sich neben mich auf den Futon vors Badezimmer gesetzt und mir beim Essen zugesehen. Sie hat mir den Kopf gestreichelt und mir eine Haarsträhne hinters Ohr gestrichen. Und als ich sagte, ich sei fertig, hat sie mich bedrängt, noch ein Löffelchen zu essen. Wie eine Mutter. Also hab ich weitergegessen.
Ich bin so müde.
April. Keine Ahnung, welcher.
Oh Lavendel, oh Quitte, oh Calendula, wie glücklich bin ich, wieder unter euch zu weilen! Ich habe für drei Stunden, drei schreckliche Stunden meine Zelle verlassen. Indra und Lou schickten heute Nachmittag Noadhi her, der mir eine Heilmassage verabreichen sollte.
Bevor er kam, stieg ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten die Treppe wieder hoch. Indra und Lou hatten mir ausrichten lassen, er werde das Bett als Massageliege benutzen, und ich solle mir nicht erst die Mühe machen, mir was überzuziehen. »Er wird dir die Kleider ausziehen«, kündigte Indra an. Ich hörte ihn unten mit Jessica plaudern, also hüllte ich meinen nackten Körper in einen roten Sarong und setzte mich auf den Bettrand.
Er war ganz in Weiß gekleidet und weniger liebenswürdig als sonst. Er lächelte mich sanftmütig an, aber dann machte er sich gleich ans Werk. Ich hätte zu gerne eine Decke gehabt, um einen letzten Rest an Sittsamkeit zu wahren, aber nein. Weg mit dem Sarong. Noadhi rieb sich die Hände und packte zu.
Nach einer Stunde Massage war ich schweißgebadet und gerädert. Ich habe nicht viel Erfahrung mit Massagen, aber bei Noadhi wusste ich vom ersten Moment an, dass sie nicht die Norm ist. Seine Massage ist eigentlich eine Form von Folter.
Er fing bei meinen Füßen an und bohrte die Fingerspitzen in jede einzelne Zehe, wobei er sich auf das Gelenk konzentrierte, von dem er den Knorpel ablöste. Ich biss in meine Mundschleimhaut, um das Stöhnen zu unterdrücken, während er weiter nach oben vorrückte und mit den Fingern in meinem Unterschenkel nach dem Wadenbein wühlte. Als er die empfindlichste Stelle gefunden hatte, schrappte er mit dem knochigen Teil seiner Finger darüber, als wolle er die Haut vom Knochen abziehen. In meinem armen Kopf lief die ganze Zeit über in Endlosschleifen ein surrealer Film, in dem Fische entgrätet werden und mein Großvater mit einem Schälmesser Maiskörner vom Kolben schabt.
Es ging noch Stunden so weiter. Drei Stunden, um genau zu sein, eine Ewigkeit, in der Noadhi mir die Eingeweide gewissermaßen durch das Steißbein und die unteren Rippen schob. Etwas wie diese Heilmassage hatte ich noch nie erlebt. Der Schmerz fängt an und fängt noch einmal an, bleibt unverändert und hört nicht auf, er entwickelt sich nie zu etwas Angenehmen, Entspannenden, er fängt nur an und wieder an und immer noch mal an.
Ich kann mir jetzt unter ewiger Verdammnis endlich konkret was vorstellen.
Einmal muss ich gewimmert haben, denn Noadhi flüsterte: »Atmen!« und rieb mir eine Salbe aus Maschinenöl und Wick VapoRub unter die Nase. Sie brannte. Dann schob er mir spitze Bambusspäne unter die Fingernägel und befestigte Elektroden an meinen Brustwarzen.
So lange habe ich meine kleine Zelle seit Tagen nicht verlassen. Ich habe immer noch bloß den roten Sarong am Leib – fast wäre ich auf ihm ausgerutscht, als ich, ölige Fußabdrücke hinterlassend, die Stufen hinuntertappte. Ich gehe nie wieder von hier weg.
Irgendein Tag, wahrscheinlich noch im April
Meine Mit-Yogis haben einen freien Tag. Ich habe so viele Stunden verpasst. Mein Körper ist steif und
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