Bin Ich Schon Erleuchtet
ich bald weggehen, vielleicht für immer. Mein Zuhause.
Als ich mich zum Ausruhen auf die Matte legte, konnte ich für kurze Zeit ruhig atmen, bevor es wieder losging. Und dann, Gott ist mein Zeuge, riss es mich auseinander.
Ich flog zum Flechtdach des Wantilan und schwebte zwischen den Geckos unter den Dachsparren. Ich blickte auf mich selbst hinunter. Ich war die Brünette auf der rosaroten Matte. Ich sah sie weinen. Und dann hockte ich auf einmal neben ihr auf dem Holzfußboden. Ich schlang meinen Arm um ihre Taille und spürte ihren stoßweisen Atem. Ich schob meinen Körper in ihren hinein, bis sie ruhig wurde, und dann fühlte ich, wie ihr Herz in meiner Brust schlug. Und ich erinnerte sie ohne Worte daran, dass heute der Tag ist, an dem Jonah nach New York zieht.
6.
Nobody’s Child
In der Tat … zogen wir über fast jeden im Seminar her. Wir entschieden, dass … diese Experten in Sachen Religion Angeber und Schaumschläger waren. Aus unserer Entscheidung ließ sich eine bequeme Schlussfolgerung ziehen: Wenn sie nicht nach ihren erklärten Prinzipien verfuhren, brauchten wir es auch nicht.
Christopher Isherwood, My Guru and His Disciple
Mit achtundzwanzig fing ich an, einen Tee zu trinken, den ich in einem beliebten Yoga-Studio in Manhattan gekauft hatte. Nachdem ich im Unterricht fortwährend geniest hatte, führte mich die Lehrerin – eine umwerfend schöne Schauspielerin mit rabenschwarzen Haaren – in die studioeigene Boutique und riet mir, ein Nasenspülkännchen ihrer Lieblingsmarke, eine Dose Eukalyptus-Badesalz und eine Schachtel Tee zu kaufen, der wie ein Zimmer voller Hippies schmeckte. Ich weiß nicht, ob er mein Immunsystem ankurbelte, aber ich mochte ihn, weil auf jedem Teebeutelschildchen ein spiritueller Aphorismus stand. Am liebsten hatte ich diesen:
Was ist Yoga? Wenn du dich öffnest und das Universum in dich einströmen lässt.
Es mag ja an meiner schmutzigen Phantasie liegen, aber ist das nicht ein klein wenig schlüpfrig?
An dem Tag, an dem Jonah nach New York zog und ich im Wantilan meinen Dachschaden kriegte, kam ich mir vor wie eine spirituelle Nutte. Seit Wochen war ich offensichtlich auf dem besten Weg dazu, eine dieser sentimentalen, neurotischen Sinnsucherinnen zu werden, die ununterbrochen auf jener spirituellen Achterbahn herumrasen, die aus einem anderen Blickwinkel wie emotionale Masturbation aussieht. Ich blickte auf die vergangenen Wochen zurück und war entsetzt: Wo war meine Skepsis geblieben? Wo mein gesunder Menschenverstand? Verwandelte ich mich gerade in eine New-Age-Aussteigerin wie die, die in einer Endlosschleife aus Workshops, Ashrams und Schwitzhütten unentwegt nach dem nächsten spirituellen Schuss, dem nächsten Kundalini-Erwachen, der nächsten Katharsis suchen?
Wenn ich nicht ohne einen permanenten Zustand der Ekstase auskam, würde ich nie stark genug für das Leben jenseits solcher Retreats sein.
Das Leben jenseits des Retreats. Ich hatte seit Wochen nicht mehr an mein wirkliches Leben und die bevorstehenden sehr realen Veränderungen gedacht. Verwundert hörte ich meinen vertrauten Namen und fühlte mich aus dem sicheren Retreat-Nest in die echte Welt hinausgestoßen – oder, besser gesagt, in die Scheinwelt des niederen Vogels, in der meine Bindungen und mein Ego lebten und atmeten und Dinge von mir erwarteten. Wie verwirrend, nach so vielen Retreat-Wochen beim Blick in die Zukunft doch wieder nur denselben Bildern von Verlust und Tod zu begegnen, die mich ursprünglich in den Rückzug von der Welt getrieben hatten.
Indra meinte, die Tränen täten mir gut. Nach dem Unterricht setzte sie sich zu mir und umarmte und streichelte mich, während ich noch ein Weilchen weiterflennte. Sie war sehr lieb zu mir. Aus ihrem Blick sprach Sorge. Als ich fertig war, hatte sie die Lösung: Sie würde eine Therapiemethode daraus machen. Sie wollte mich auch weiterhin Suzie nennen, damit ich an meiner Angst vor dem Auszug von zu Hause arbeiten konnte.
Wenn ich dem zustimmte, würden wir – das wusste ich – in den restlichen Wochen viele Gespräche führen, sie würde sich oft erkundigen, wie es mir ging und ob sie durch die Verwendung meines Spitznamens dessen Macht über mich aushöhlte. Es wäre die Chance, Indra ganz für mich allein zu haben. Ihre Aufmerksamkeit, ihre Anerkennung, ihre Liebe. Ich hätte das Recht, Zweisamkeit zu fordern, damit wir uns in Ruhe über unser Leben, unseren Pfad und unsere Überzeugungen unterhalten konnten. Und
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